: Ferner Waffenstillstandshoffnungsschimmer
Verteidigungsminister Kadijevic verkündet Feuerpause/ Bis Sonntag mittag setzte die Bundesarmee jedoch ihre massiven Angriffe auf Ostslawonien und die dalmatinische Küste fort/ Bosnien ordnet Mobilmachung der Territorialverteidigung an ■ Aus Zagreb Roland Hofwiler
Die Nachricht kam kurz nach 14 Uhr — und sie kam überraschend: Der jugoslawische Verteidigungsminister Velko Kadijevic hat im Krieg um Kroatien mit der Zagreber Führung einen neuen Waffenstillstand vereinbart, bereits ab 15 Uhr sollten an diesem bis dahin alles andere als ruhigem Sonntag die Waffen schweigen. Gemäß der neuen Vereinbarung erteilte wenig später auch der kroatische Präsident Tudjman den Befehl zur Feuereinstellung, die örtlichen Behörden wurden angewiesen, die Versorgung aller Kasernen der Bundesarmee wiederherzustellen.
Noch am Sonntag vormittag hatte der Verteidigungsminister in Sondersendungen des Belgrader Fernsehens dagegen ganz andere Töne hören lassen. Deutlicher als jemals zuvor sprach er aus, wie die Bundesarmee die Kämpfe in Kroatien einschätzt: „Wir sehen immer deutlicher, daß sich die Herrschaften in Zagreb beeilen, mit Gewalt die Ziele durchzusetzen, die auf legalem und demokratischem Wege gar nicht zu erreichen wären.“ Dann führte der General aus: „Jugoslawien in seiner bisherigen Form existiert nicht mehr, das Staatspräsidium wurde zerschlagen. An seine Spitze setzte sich einer der Protagonisten des faschistoiden Regimes Kroatiens.“
Mit anderen Worten: Die Generalität setzt sich über alle Entscheidungen des Staatspräsidiums, dem auch das Oberkommando über die Streitkräfe obliegt, hinweg. Nach der (noch immer) gültigen jugoslawischen Verfassung von 1974 (Paragraf 335 ff) ist dies nichts anderes als ein Putsch. Wie nahe Jugoslawien vor der Ausrufung eines Militärregimes bereits steht, läßt sich an einer anderen Stelle der Kadijevic-Rede ablesen. Der General erklärte kurz und bündig: „Das jugoslawische Parlament hat sich aufgelöst.“ Diese Ansicht trifft jedoch nicht zu, ebensowenig wie die Aussage, daß das Staatspräsidium „zerschlagen“ wurde. Beide Machtinstitutionen sind in ihrer Arbeit aufgrund der kriegerischen Handlungen und durch Boykottaktionen vor allem des „serbischen Blocks“ gelähmt. Verfassungsrechtlich müßten in einer solchen Situation (Kriegs- und Bürgerkriegsgefahr) entweder Neuwahlen ausgeschrieben oder der Staatspräsidident Stipe Mesic und der gesamtjugoslawische Regierungschef Ante Markovic mit Sondervollmachten ausgestattet werden. Wie dies mehrmals in der Nachkriegsgeschichte schon geschah: 1948 beim Bruch mit Stalin, 1956 während der Ungarnkrise, 1971 bei der Niederschlagung des sogenannten „kroatischen Frühlings“, 1981 bei schweren Unruhen in der albanisch besiedelten Kosovo-Provinz.
Wenngleich die Verfassung Jugoslawiens noch immer eine sozialistische ist, ist eine auch nur zeitlich begrenzte Machtausweitung für die Armee nicht vorgesehen. Dies alles schien Kadijevic nicht zu interessieren. In seiner Rede erklärte er unmißverständlich, nicht nur Mesic, sondern auch Markovic seien Staatsfeinde Jugoslawiens, da „das jetzige Chaos durch seine einseitigen Entscheidungen“ zugunsten Kroatiens erst ermöglicht wurde.
Die Waffenstillstandserklärung fiel in eine Phase der bis dahin schwersten Kämpfe des Krieges. Das ganze Wochenende waren die Städte der dalmatinischen Küste von Flugzeugen der Bundesarmee bombadiert worden, heftig umkämpft waren wie in den vorangegangenen Tagen die ostslawonischen Städte Vukovar und Vinkovci. Von der Bundesarmee „befreit“ werden sollten die nur wenig jenseits der serbisch-kroatischen Grenze liegenden kroatischen Orte Tovarnik und Nijemci. Auch hier fielen Bomben. Zagreb befürchtet, daß die seit Freitag aus Belgrad zur Verstärkung der Armee abkommandierten Panzerverbände sich auf dem Wege in die Hauptstadt machen könnten. Da die Generäle bei einer weiteren verlorenen Schlacht — nach dem Blitzkrieg in Slawonien — ihr Ansehen als „unbesiegbare Streitmacht“ verlieren würden, gingen sie jetzt aufs Ganze.
Verständlicherweise meldeten gestern beide Konfliktparteien eigene Erfolge, wurden jedoch nicht konkret. Da nicht nur der Verkehr, die Energie- und Wasserversorgung unterbrochen sind, sondern auch das Telefonnetz, sind augenblicklich zuverläßliche Informationen nicht zu erhalten. Das Belgrader Fernsehen zeigte bereits Bilder aus der „befreiten Zone“ um die Dörfer Dalj und Borovo-selo, wo angeblich geflüchtete serbische Bauern ihre „serbischen“ Dörfer wieder aufbauen.
Da ein Teil des Armeenachschubs über Bosnien geführt wurde, gründete die Regierung in Sarajevo einen Krisenstab. Präsident Izetbegovic ordnete die Generalmobilmachung der bosnischen Territorialverteidigungskräfte an, die Armee die Rekrutierung weiterer wehrpflichtiger Männer. Kämpfe auf bosnischem Territorium werden nun immer wahrscheinlicher.
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