INTERVIEW: „Wir haben ein Stückchen Selbstbewußtsein in die Einheit eingebracht“
■ Christiane Ziller, bislang Sprecherin von Demokratie Jetzt, wird voraussichtlich dem neuen SprecherInnenrat von Bündnis 90 angehören/ Sie plädiert für eine behutsame Debatte mit den Grünen als „natürlichem Bündnispartner“
taz: „Vollenden und aufbrechen“, so lautete das Motto dieses Gründungskongresses. Ihren Zusammenschluß zu vollenden, dazu hat der Einigungsvertrag die Bürgerbewegungen erfolgreich gezwungen. Aber von Schwung für einen neuen „Aufbruch“ ist noch nicht viel zu spüren. Wie will Bündnis 90 an die Hoch-Zeit vom Herbst 1989 anknüpfen?
Christiane Ziller: Sicherlich waren wir damals in aller Munde. Aber wir hatten nur Konzepte, um das Regime zu stürzen — und wenig Vorstellungen, wie wir eine ganz andere Gesellschaft mitgestalten könnten. Ein Grund dafür, daß wir heute nicht schon ganz genau wissen, wohin es geht. Die Forderung, wir müßten das, ist auch überzogen.
Wolfgang Ullmann hat auf dem Kongreß gesagt, die Bürgerbewegung wolle die Politik auch in die Wohnzimmer und Küchen tragen — dorthin, wo die Bürgerbewegungen einst entstanden sind. Ist das der neue Politikansatz?
Jedenfalls ist es eine Erfahrung von uns — daß Widerstand und Veränderungswille durchaus auch in den Wohnzimmern und Küchen ihren Ausdruck finden können. Es ist ein Stückchen Selbstbewußtsein, das wir in die Einheit mitgebracht haben: daß die einzelnen Bürger und Bürgerinnen, wenn sie sich zusammenschließen, die Gesellschaft mitgestalten können.
Stichwort Selbstbewußtsein: Wie weit geht das gegenüber den Grünen, die ja Ihr künftiger Ansprechpartner sind...
...und unser natürlicher Bündnispartner...
...was hat die Bürgerbewegung den im Moment relativ schwachen Grünen anzubieten?
Ich habe den Eindruck, daß die Schwäche bei den Grünen langsam behoben wird — und das begrüße ich ausdrücklich. Das bedeutet nicht, daß wir uns heute schon mit ihnen vereinigen können. Da gibt es Schwierigkeiten, die gar nichts mit unseren Zielen zu tun haben, aber viel mit unseren aus den unterschiedlichen Sozialisationsprozessen resultierenden Herangehensweisen. Und da können wir zeigen, ob wir zu dem, was wir für die Gesellschaft insgesamt fordern — ein friedliches Zusammenwachsen — auch im grün-bürgerbewegten Spektrum in der Lage sind.
An welcher Stelle müssen sich die Grünen denn verändern?
Die Grünen sind — aus der Erfahrung einer Oppositionspartei — stärker auf Konfliktsituationen aus, sie stellen Maximalforderungen, damit bestimmte Themen wenigstens immer wieder diskutiert werden. Wir kommen aus anderen Zusammenhängen, haben weniger dogmatische Verhaltensweisen, als man es von den Grünen, zumindest auf Bundesebene, gewohnt war. Man muß das Mögliche machen. Und nicht das Unmögliche fordern und die Gestaltung dann anderen überlassen.
Nun werden die Grünen ja immer pragmatischer, gerade gegenüber den Bürgerbewegungen. Man will mit ihnen zusammengehen, ohne allzulange darüber zu diskutieren. Nach dem Motto: Wir brauchen uns ja eh gegenseitig.
Das kann ich nicht bestätigen. Es gibt Pläne und auch schon Einladungen, um mit uns — nicht als Feigenblatt, sondern wirklich gemeinsam — in den neuen Ländern Workshops zu hochbrisanten Themen durchzuführen: Verkehr, Frauen, Umwelt, Sozialpolitik, Mieten usw. Am Ergebnis wird zu messen sein, inwieweit unsere Vorstellung, daß die Grünen unsere Bündnispartner im Westen sind, berechtigt ist.
Bündnis 90 will eine bundesweite Gründung sein. Bisher steht dem noch eine Null-Organisation in den Westländern gegenüber...
...das ist richtig...
...besteht da nicht die Gefahr, daß Sie doch nur Ihre Ostbasis vertreten, also Ostlobbyismus machen?
Man sollte gar nicht wegreden, daß wir eine Art Ostlobby sind — auch weil die Probleme — verglichen mit denen im Westen — so immens sind. Andererseits wollen wir ja nicht die Teilung zementieren, sondern die gesamte Gesellschaft verändern. Wir bekommen auch sehr starke Resonanz im Westen bei Leuten, die die Ziele der Grünen unterstützen, sich aber von ihnen wegen ihrer Art, Politik zu machen, distanziert haben. Die wünschen, daß wir und unsere etwas bedächtigere, behutsamere und um ausgewogene Darstellung bemühte Grundhaltung im Westen Fuß faßt.
Können Sie ein Beispiel für solche gesamtgesellschaftlichen Diskussionen nennen, die Sie führen wollen?
Wir wollen auf jeden Fall dazu beitragen, die Vergangenheit in Ost und West aufzuarbeiten und auch die unsauberen Kontakte aufzudecken, die es zwischen beiden Seiten auf höchster Ebene gegeben hat. Was die Zukunft angeht, wollen wir versuchen, zu einer Gesellschaft des Konsenses zu kommen, anstelle der Herschaft von Mehrheiten über Minderheiten.
Hier in Potsdam ist allerdings der Abstimmungsmarathon um die Satzung sehr strikt gegen den nie endenden Diskussionbedarf der Basis durchgezogen worden. Deuten die neuen, klaren Strukturen von Bündnis 90 an, daß es doch schnell auf eine Partei hingehen wird?
Nein. Wir wollen keine hierarchischen Weisungsstrukturen. Nur dürfen wir die Suche nach Konsens und Kompromiß nicht verwechseln mit einem Ergebnis, in dem alle sich wiederfinden. Das geht nämlich nicht. Kompromiß heißt, daß möglichst viele möglichst gut damit leben können.
Was ist dann die Funktion der künftigen Sprecher und Sprecherinnen der Bürgerbewegung? Sind sie Moderatoren der Konsensbildung, oder haben sie eigene Autorität?
Nach meiner Erfahrung — ich bin ja bis jetzt Sprecherin von Demokratie Jetzt gewesen — sollten sie eine doppelte Funktion haben: einerseits integrativ zu wirken, andererseits die Positionen, die in der Bewegung eingenommen werden, nach außen interessant und verständlich zu machen. Also durchaus ein Ja zu Persönlichkeiten und ihren Kompetenzen. Interview: Michael Rediske
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