: Buchmesse rechtfertigt Wortbruch
■ Buchmessenleitung bestätigt Telefonat mit Salman Rushdie/ Erneut politischer Druck auf den Autor und seine Verteidiger/ Buchmessenleitung öffnet Ausstellung für iranische Verlage
Berlin (dpa/taz) — Wie die taz am Samstag vermeldete, hat Salman Rushdie der Leitung der Frankfurter Buchmesse Wortbruch vorgeworfen. Vor einigen Wochen hatte diese ihm zugesichert, bis zur Aufhebung des islamischen Mordaufrufs gegen den Autor der Satanischen Verse auch weiterhin keine iranischen Verlage auf der weltgrößten Bücherschau zuzulassen. Nun werden doch acht iranische Verlage an der 43. Buchmesse im Oktober teilnehmen. Die Buchmessenleitung bestätigte am Wochenende, daß sie am 26. August mit Rushdie telefoniert hat. Der Autor habe erklärt, alles, was den Iran rehabilitiere, schade seiner Situation.
Gleichzeitig betonte Pressesprecher von der Lahr, der Iran bleibe als Staat mit seinen Symbolen und Institutionen von der Buchmesse ausgeschlossen, Verlage schließe die Buchmesse jedoch grundsätzlich nicht aus, sie übe keine Zensur. Ein befremdliches Statement: einer der acht iranischen Verlage ist der Medienkonzern Ettela'at Publication, in deren regimetreuer Tageszeitung die Fathwa mehrfach gerechtfertigt wurde. Kein Wort verliert die Buchmessenleitung über den offensichtlich politischen Druck, dem die Buchmesse mit ihrer Entscheidung, zum erstenmal seit der Fathwa iranische Verlage zuzulassen, nachgibt.
Ein Druck, der nach wie vor international ausgeübt wird. So hat nach dem öffentlichen Auftritt von Rushdie vor einer Woche in London der Hisbollah-Führer Hussein Mussawi erklärt, das Erscheinen des Autors verzögere die seit langem erhoffte Befreiung der westlichen Geiseln im Libanon. Rushdie seinerseits stellte in einem Interview mit dem britischen 'Guardian‘ noch einmal klar, in welcher Lage er sich befindet: Er vergleicht sein Leben in der Obhut von Leibwächtern mit dem eines Rockstars oder eines Präsidenten, mit Ausnahme von deren Seelenfrieden: „Den habe ich nicht.“ Er erläutert auch seine Gesprächsversuche mit britischen Moslems: „Mr. Essawy (Leiter der islamischen Gesellschaft für religiöse Toleranz) sagte zu mir, ich bräuchte kein perfekter Moslem zu sein, um mich selbst als Moslem zu bezeichnen. Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr deprimiert, fühlte mich sehr verlassen. Ich hatte das Gefühl, wenn ich es nicht in Ordnung bringe, wird niemand es je tun... Ich bin und bleibe ein weltlicher Moslem. In jedem moslemischen Land der Welt, in jeder moslemischen Gesellschaft finden sich fortschrittliche Moslems, die sich als weitgehend säkularisiert bezeichnen. Ich wollte eben das zu verstehen geben und auch sagen, daß es viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Islam und dem Westen gibt. Aber ich hatte keine Chance: Die Leute wollten nur wissen, ob ich Schweinefleisch esse und ob ich fünfmal am Tag bete. [...] Die Leute sagten, ich tue das nur, um meine Haut zu retten. Als wenn es jämmerlich wäre, so etwas zu wollen. Es war deprimierend festzustellen, das die Leute meine Haut so wenig schätzen...“
Offenbar regiert auch in der Bundesrepublik nach wie vor die Angst: Außer Günter Grass, dem Steidl Verlag und dem Verlag Das Arsenal hat noch kein Verlag sich dazu durchgerungen, die Buchmesse mit Boykott unter Druck zu setzen. Und Rushdie selbst wird auch in diesem Jahr nicht nach Frankfurt eingeladen. Statt dessen bescheidet sich Buchmessen- Chef Peter Weidhaas mit der Ankündigung einer Veranstaltung mit den Kritikern der Zulassung der iranischen Verlage. Thema: „Die richtigere Moral. Der Fall Rushdie und was nun.“
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