: Rotkäppchen's Feuertanz
■ Die "Krähe" in der Kollwitzstraße im Prenzlauer Berg
Keine Frage: Dieser Vogel setzt sich ins gemachte Nest. Die Krähe. Die späte Landung dieses Saaträubers, von dem mein Freund, Herr Palomar, schon vor einigen zurückliegenden Jahren zu sagen wußte, daß er ein höchst soziales und hierarchisches Lebewesen sei — diese Landung also glückte der Krähe; verursachte nebenbei einiges Flattern am Kollwitzplatz, worauf verschiedene Nistgemeinschaften die Brutplätze wechselten.
Schon seit längerem war bekannt, daß die Eier im Brutgebiet Kollwitzplatz zu faulen begannen. Entweder bekam man das kalte Grübeln über noch kältere gastronomische Ausrutscher in diversen stadtbekannten Kaffeehäusern am Platze, oder leicht überhitzte Preisvorstellungen zerkochten den ohnehin geringen Eßgenuß in einer gewissen Eisdiele. Die Krähe pickte sich erst einmal mit zielsicherem Räuberinstinkt das beste Korn (einen rührigen Koch) aus dem zerzausten Nest, sparte allenfalls an glattgestylten Einrichtungsideen bei der Gestaltung der zweietagigen (erst auf den zweiten Blick zu erkennenden) Billardkneipe und stellte ein Essenundtrinkangebot zusammen, das so frisch ist, wie der angebotene Blechkuchen und so reichhaltig wie anderswo ungeleerte Aschenbecher. So ausgestattet, fehlte auch nicht der gute Wille des Publikums, sich überraschen zu lassen. Die Innenausstattung pflegt den Trend zum geschmackvollen Low-Budget; das überzeugt noch am ehesten. Das hat seinen Grund, denn nur schwer noch lassen sich die geharkten Fernsehlauben und aprilfrisch polierten Plastikwirte aus der Vorratskammer der Großbrauereien ertragen.
Wolfgang Liebermann — Alt-Wilder der DDR-Malerei — beschmierte kunstvoll und dezent einige Wände in der »Krähe« und der Chef der Ostberliner Galerie »Weißer Elefant« will demnächst an die Chefs der »Krähe« seinen alten Diaprojektor verborgen, diesen unter die Decke plazieren — mit dem Lichtstrahl auf eine große, freie Wand — damit der künstlerische Ideenfluß, vom zerkratzten Mega-Negativ bis zum fusselfreien Kunstrepro, wechselnd und ad libitum unter das abendliche Gelage gebracht werden kann.
In der gut gekühlten Grabkammer unter dem Gastraum steht der Billardtisch und der spielwütige Teilnehmer kann daher die Farbe des Geldes unter sich ausmachen, ohne dem benachbarten Liebespaar den Hagebuttentee in die Mützen zu stoßen. Viel Platz also. Neben dem Hagebuttentee gibt es übrigens noch vier weitere Teesorten.
In der »Krähe« zu frühstücken lohnt sich, das muß man ja mal sagen. Vom Lachsschinken mit Honigmelone bis zum großen gemischten Frühstück — alles im preiswerten Limit —, von frischem Obst und frischer Milch bis zum Kakao, der endlich einmal Heiße Schokolade heißt. Der gegrillte Steinbeißer in der »Krähe« ist etwas weniger kristallin als der garstige Waldschrat in Michael Endes unendlicher Mythologie — sicher auch bekömmlicher —, und verträgt sich als Fisch daher hervorragend mit einem Calvados Pére Magloise fin als Aperetif und einem '89 Spitzenjahrgang Bourgogne Chardonnay, der allerdings nur geschlossen für dreißig Mark zu haben ist. Noch ein Tip für die Bar: ein indianischer Tequila Olmeca (ohne Zitrone!), oder — wer seinen Magen beruhigen möchte — einen Fernet Branca auf Eis. Und noch eins: Zur harmonischen Verdauung leichte, gute Musik vom Band oder am Wochenende auch mal live, ohne daß die Unterhaltungsklänge krampfend auf den Magen schlagen, oder Power verordnen, bis der Arzt kommt.
Wie die Vereinigung Freie Ornithologen Deutschlands (FOD) in ihrem Faltblatt »Der Flattermann« kürzlich vermeldete, soll die Krähe demnächst zur Vogelschutzwarte ausgebaut werden. Da piepen doch die schrägen Vögel. Volker Handloik (Foto: Susanne Schleyer)
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