: Das Kino aus der Kälte
Um 23.45 Uhr startet im ZDF eine sechsteilige Reihe mit Filmen aus Quebec ■ Von Manfred Riepe
Kaum ein Filmschaffen ist so dem eigenen Land verpflichtet wie die „zweite“ kanadische Kinokultur der französischsprachigen Provinz Quebec. Ein Grund dafür ist in der leidvollen Geschichte des Einwanderungslandes zu finden. Nach der Niederlage im siebenjährigen Krieg mußte Frankreichs König Ludwig XV. 1759 die nordamerikanischen Kolonien an England abtreten. Die Kluft zwischen „Anglophonen“ und „Frankophonen“ ist seitdem in Kanadas Geschichte tief verwurzelt. Sprache und Religion machte die aus Frankreich stammende Minderheit zu Bürgern zweiter Klasse. 1967 schürte de Gaulle bei einem Staatsbesuch mit seinem denkwürdigen Satz: „Es lebe das unabhängige Quebec!“ nationalistische Bestrebungen. Seit im Juli des vergangenen Jahres das Auseinanderbrechen des zweitgrößten Landes der Erde knapp verhindert wurde, schwebt die Separation Quebecs wie ein Damoklesschwert über Kanada.
Maria Chapdelaine, mit dem die sechsteilige Filmreihe heute startet, rekonstruiert die widrigen Umstände, unter denen sich die Exilfranzosen zu Beginn des Jahrhunderts durchsetzen mußten. Der frankokanadische Regisseur Giulles Carle versucht spürbar zu machen, wie der permanente Kampf mit der Natur zu immer tieferer Verwurzelung führt. Carle sah in Louis Hemons gleichnamigen Romanvorlage nicht nur die melodramatische Liebesgeschichte der 23jährigen Maria (Carole Laure), die von drei ungleichen Männern umworben wird. Der langatmige Film richtet sein Hauptaugenmerk auf die Menschen, die ihre Lebensgrundlage der Natur abtrotzen müssen. Nach einem etwas schleppenden Einstieg stellt Carle immer wieder die Darstellung des rituellen Arbeitsalltags lyrisch überhöhten Naturbildern (z.B. Heulender Wolf vor Wasserfall) gegenüber. Die viel Raum einnehmende Religiosität gerät dabei nicht zur frömmelnden Karikatur. Dafür sorgen unterschwellig ironisierende Szenen wie die mit dem Dorfpfarrer, der gleichzeitig Dentist ist: Statt mit Betäubung zieht er die Zähne zur religiösen Orgelmusik.
Eine bloße Inhaltswidergabe würde die Intention der Bilder verkürzen. Rein menschliche Belange stehen unterschwellig immer im Kontext der unablässig präsenten Natur. Natürlich bekommt Maria nicht den Liebhaber, den sie sich ausgesucht hat. Der gut aussehende Francois Paradis erfriert trotz seines progammatischen Namens auf dem hindernisreichen Weg zu Maria. Was kein Wunder ist in Quebec bei 245 Tagen Frost im Jahr. Diese Kälte ist es, die Gilles Carle einem durch die Mattscheibe ins Wohnzimmer pustet, so daß man unwillkürlich zur Strickjacke greift.
Eva und Georg Bense informieren morgen (26. 9.) in ihrem Filmforum „Das Kino, das aus der Kälte kommt“ über aktuelle Produktionen sowie über die Geschichte des Kinos in Quebec. Anschließend folgt Jacques Leducs Drei Äpfel am Rande des Traums von 1989. Ein Film, der die individuelle Geschichte einer Midlife-crisis mit der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes verklammert. Leduc kommt in seiner assoziativ-sprunghaften Erzählung über einen Mann, der am Morgen seines vierzigsten Geburtstags die Bilanz seines Lebens zieht, zu einer politischen Bestandsaufnahme: „Unsere Träume sind ausgeträumt“, läßt er den heimat- und wohnungslosen Protagonisten sagen, der sich stellvertretend für eine um ihre separatistischen Träume betrogene Minderheit in die Privatsphäre zurückzieht. Bruno Carrieres Regiedebüt Tödliche Freundschaft von 1982 (am 27. 9.) reflektiert die Spaltung der kanadischen Gesellschaft mit den Mitteln des Polit-Thrillers. Michel Brault beschreibt in Hochzeit auf Widerruf (am 3. 10.) ähnlich wie Peter Weir in Greencard die auch bei uns hochaktuelle Asylproblematik am Beispiel einer Zweckheirat. Nach den Türen in die Vergangenheit von Francis Mankiewicz (am 9.10.) schließt die Reihe am 20. November mit Denys Arcans wohl bekanntestem frankokanadischen Spielfilm Jesus von Montreal aus dem Jahr 1989. Ohne das Geheimnis der Jesusfigur zu zerstören, konfrontiert Arcand in seinem mehrfach preisgekrönten Film die Botschaft der Passionsgeschichte mit der modernen kanadischen Gesellschaft. Bis auf Türen in die Vergangenheit und Jesus von Montreal werden die Filme als deutsche Erstaufführung und in Zweikanalton (deutsch/französisch) ausgestrahlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen