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Mehr Kleistvertrauen

Frank Hoffmann gewinnt — und verliert sein „Käthchen“  ■ Von Elke Schmitter

Sie schauen sich nicht an. Sie sind verbunden miteinander wie durch ein unsichtbares Seil; wenn er mit der Peitsche den Boden malträtiert, zuckt sie zusammen, und wenn ihre Stimme zärtlich wird, dann zeigt er eine Regung. Sie sind aufs äußerste aufeinander bezogen, aber sie wissen es nicht: sie folgt blind dem, was sie für ihr Schicksal hält, und er versucht, ebenso blind, sie davon abzubringen. Ihr Schicksal zu sein, das ist ihm zunächst lästig.

Ein Märchen, ein deutsches christliches Märchen mit allem drum und dran: Königskind und Rittersmann, böse Fee und gute Alte, treuer Knecht und edler Freund, guter König und kluger Richter. Und ein bürgerlicher Vater, die Ehre seines Mädchens gegen den verlotterten Adel zu verteidigen, hat sich auch noch gefunden. Das Käthchen von Heilbronn erfreut sich stabiler Beliebtheit beim deutschen Publikum, obwohl es das Sitzfleisch nicht schont: dreieinhalb Stunden muß man rechnen. So auch in Bonn, wo die Spielzeit mit dem neuen Intendanten Beilharz mit gleich drei Premieren eröffnet wurde, zwei davon möglichst klassisch und eine möglichst neu: am Freitag Romeo und Julia, am Samstag Susan Sontags Alice, und Sonntag schließlich das Käthchen, inszeniert von Frank Hoffmann in einer neuen Bühne: Halle Beuel.

Man spielte das Käthchen ganz, und man gewann die halbe Partie. Sandra Flubacher verkörpert das Mädchen als ein wahres Kind in einem spitzenweißen Habitus, angetan mit Ringelstrümpfen und Schnürschuhen, voller Anmut und ohne jede Koketterie. Sie führt die Stimme wie ein blankes, schmales Schwert; ihr Wahnsinn ist Erhellung, während ihr Ritter vom Strahl (Uwe Kramer) verblendet ist und wütend, irre und schäumend und herzlos mit der Peitsche wirbelt. Die somnambule Sicherheit, mit der sie ihn verfolgt, die demütige und zugleich dreiste Ruhe, mit der sie, Shakespeares Spaniel gleich, auf seiner Schwelle schläft, die skandalöse Selbstaussage und die von Ehre, Herkunft und Vaterliebe — sie spielt sie so ergreifend, daß man die Offenbarung glauben muß. Sie ist der Mittelpunkt des ganzen wüsten Treibens; mit einem solchen Käthchen kann die Sache nicht mißlingen.

Ihr Vater verteidigt seine Tochter gegen den Richter und den vermeintlichen Verführer in einer grandiosen Anfangsszene, ganz im Vertrauen auf das Wort und die Vernunft. Es ist überhaupt dieses Vertrauen in die Sprache im ersten Teil der Inszenierung, das einen vollkommen in Bann schlägt — ein wahres Kleistvertrauen.

Im Saal war atemlose Stille, als die drei Männer das Schicksal des Käthchens erörterten, das nur von ferne zu hören war, lachend und schluchzend und leise wimmernd.

Das zweite Wunder dieser Inszenierung ist die Bühne. Christoph Rasche hat den riesigen Raum wie eine Arena im Dreiviertelrund um den Mittelpunkt ausgebaut — eine Vertiefung, die erst dem Männertrio als Gerichtssaal dient, später dem Käthchen als Nest und Versteck, schließlich als öde Wüstenei des Kampfes. Von überall her kommen Stimmen und Parteien, führen Treppen, Galerien und Hängebrücken, der ganze Publikumsraum ist mitgenutzt. Rasche hat starke Effekte nicht gescheut und seine Wirkungen geben ihm recht. Als das Käthchen durchs Feuer geschickt wird, um für die böse Kunigunde ein Kleinod zu retten, muß sie durch einen schmalen Bogen treten, an dem die Flammen züngeln. Sie betritt die brennende Burg, wie sich's gehört, mit traumwandlerischer Sicherheit, ist erstickend umgeben von Trockeneisrauch — und als das Grau sich lichtet, liegt sie auf dem Frisiertisch der Kunigunde (das feile Stück) aufgebahrt wie ein totes Kind. Dann stößt die unsichtbare Hand Maschinenseile an, die den Tisch von oben halten, und er wird zu einer Schaukel, und man weiß: nun wird alles wieder gut... Es ist die Bühne von Christoph Rasche, die aus dem Stück ein Märchen macht, ein großes Spiel um Gut und Böse, in dem Wunder geschehen und Zeichen; sie ist das geglückte Pendant zum Sprachvertrauen.

Man hält den Atem an und hofft, daß es so weitergeht. Aber damit hat man Pech. An den Schauspielern liegt es nicht: die sind nicht nur in der Lage, sondern auch willens, dem Text zu geben, was des Textes ist: die volle Aufmerksamkeit und das Bewßtsein, das er tragen wird. Es ist leider die Regie, die zunehmend den Mut verliert, die in der zweiten Hälfte auf die üblichen Effekte von Showbiz und Shocking setzt, um ein Publikum bei der Stange zu halten, dem Kleist pur durchaus zuzumuten wäre. Als der Ritter das Käthchen befragt und es wie im Schlafe antwortet, geschieht der erste Bruch: ihre Stimme bekommt einen obszönen Ton, als bräche bei dem schlafenden Mädchen nun die nackte Begierde sich Bahn. Hier trumpft der besserwissende Analytiker auf, der es Kleist und dem Publikum zeigen will und der für dieses wohlfeile Besserwissen die ganze Balance der Figuren opfert.

Es müßte nicht alles dieser Art fehlgehen; das Stück hat komische Facetten genug. Es böte sich ja beispielsweise an, den König, dem es schließlich dämmert, daß er vor sechzehn Jahren dies Kind namens Käthchen gezeugt, als unseren Franz Alt zu kostümieren... Aber das hat (die sehr einfallsreiche und sichere) Swetlana Zwetkowa nicht getan. Statt dessen überwiegen schließlich die Erscheinungen, die man als Castorfizierung der Provinz bezeichnen kann: eine obszöne Geste hier, ein Stellungswechsel dort, Klamauk und Kostüm um jeden Preis, sinnlose Bewegungshysterie und zunehmende Lautstärke — sogar die Musik, fast bis zum Schluß von Renée Nuss wirklich bravourös geführt, macht leider mit und tönt mit hartem Rockverschnitt zur gestischen Kopulation des Traumpaares Friedrich und Käthchen.

Man verläßt das Theater enttäuscht und verstimmt, dabei ist der größere Teil der Inszenierung atemberaubend gelungen. Den Publikumsreaktionen war schwerlich anzumerken, ob es dem ersten oder dem zweiten Teil den Vorzug gab: wurden die Darsteller, vor allem das grandiose Käthchen, einhellig beklatscht, bekam die Regie Buhrufe und Bravos in gleichem Maße. Ach, der Frank Hoffmann trägt sein Kleistvertrauen mit sich herum, wie ein nördliches Land den Keim einer Südfrucht. Es treibt und treibt und es kann nicht reifen —

Heinrich von Kleist: Das Käthchen von Heilbronn. Regie: Frank Hoffmann. Bühne: Christoph Rasche. Mit Sandra Flubacher, Uwe Kramer, Walter Hess, Eric Schneider, Sven-Christian Babich u.a. Schauspiel Bonn, Halle Bleuel. Nächste Aufführungen: 22., 24., 26., 29. und 30.9.

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