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KOMMENTAREDeutsche Weltprovinz

■ Internationale Institutionen gewinnen an Gewicht — Bonn verpaßt den Anschluß

Zunächst schien das Ende des Kalten Krieges vielversprechend: Ein neues Denken, so konnte man hoffen, würde über die Menschen kommen, der Wille zu mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit, weniger Krieg. Doch dann folgte Ernüchterung. Der Golfkrieg war auch eine konkrete Folge des jähen Zusammenbruchs der Ost- West-Spannung, der Ausbruch des jugoslawischen Bürgerkriegs ebenfalls. Die neue Freiheit ließ latente, lange verschleppte und unterdrückte Konflikte aufbrechen. Der Begriff Freiheit oxydierte mit den Begriffen Angst und Unsicherheit.

Dennoch: Langsam, doch gemessen an der Größenordnung der weltpolitischen Veränderungen, außerordentlich schnell, zeichnet sich ab, daß einzelne Staaten, ihre nationalen, vor allem aber ihre internationalen politischen Repräsentanten doch in der Lage sein könnten, die neuen, oft extrem schwierigen Situationen zu steuern: Dazu gehört der zumindest vorläufig respektierte Waffenstillstand in Jugoslawien, dazu gehört der Vermittlungsversuch Jelzins zwischen Armenien und Aserbaidschan; dazu gehört der Verzicht der sowjetischen und der amerikanischen Regierungen, Waffen nach Afghanistan zu liefern; dazu gehören die beharrlichen Bemühungen der UNO-Kommissare um eine weitere Zwangsabrüstung des Irak. Die internationalen politischen Institutionen gewinnen an Gewicht. Es ist logisch und richtig, wenn zukünftig eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrats mehr öffentliches Interesse auf sich zieht als eine Parallelveranstaltung des Deutschen Bundestages zum Thema „Abtreibung“.

Die Deutschen, ihre Meinungsmacher und ihre Politiker sind allerdings in der Gefahr, diese Entwicklung zu verschlafen. Jüngstes Beispiel: die ostpreußische Adelige Marion Gräfin Dönhoff — schrieb sie doch in der letzten 'Zeit‘ in bestem Bismarck-Jargon über das „balkanische Chaos“: „Aber wenn sie denn ihren serbokroatischen Haß unbedingt ausleben wollen, dann sollte man sie eben lassen.“ Gemessen daran, ist die Position des Bundestagsabgeordneten Rupert Scholz geradezu human: Gegen seine eigene CDU/CSU-Fraktion forderte der die Beteiligung deutscher Soldaten an einer möglichen Friedensmission in Jugoslawien. Darüber kann man streiten. Nicht mehr streiten sollte man darüber: Spitzenposten der UNO, der EG, der NATO dürfen nicht länger mit abgehalfterten Bonner Altpolitikern besetzt werden, die internationalen Institutionen müssen sich so entwickeln, daß die innerdeutschen Probleme und Problemchen zu dem werden, was sie sind — die Probleme einer Weltprovinz. Götz Aly

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