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Atomklau oder Schlamperei?

Stuttgart (taz) — In der nuklearen Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) geht der mysteriöse Atomschwund weiter: Aus der milliardenteuren und im Frühjahr stillgelegten Musteranlage sind nicht nur drei, sondern insgesamt 37 unbestrahlte Natururan-Brennstäbe spurlos verschwunden. Wo die mit insgesamt 51,5 Kilo Uran gefüllten Brennelemente abgeblieben sind, ist bislang ungeklärt. WAK-Geschäftsführer Walter Weinländer mußte beichten, daß die Schlampereien im Umgang mit dem Brennmaterial womöglich schon vor 10 Jahren ihren Anfang nahmen. Die WAK-Geschäftsleitung geht davon aus, daß die Stäbe bei einem Anfang der 80er Jahre erfolgten Umbau der sogenannten „heißen Zelle“ zusammen mit 64 Tonnen kontaminiertem Schrott zerlegt und anschließend in Abfallfässer gewandert sind. Die Originalbrennelemente seien in der radioaktiv belasteten Zelle 1 der WAK eingelagert worden und bei Aufräumungsarbeiten mit normalen Leitungen verwechselt worden. Bei den Überprüfungen in der vergangenen Woche hatte sich ergeben, daß mit Blei gefüllte Brennelement-Attrappen, die von Abmessung, Farbe und Gewicht mit den Originalbrennstäben identisch sind, fälschlicherweise als Natururan-Element geführt wurden. Die WAK-Verantwortlichen wurden gestern zu einem für sie „wenig erfreulichen“ Rapport ins Stuttgarter Umweltministerium zitiert. Um die „verbliebenen Ungereimtheiten“ aufzuklären, sollen nun die fraglichen Abfallfässer eingegrenzt und stichprobenweise unter die Lupe genommen werden; in die Untersuchungen werden aber auch WAK-Beschäftigte einbezogen. Darüber hinaus soll eine Gutachterkommission eine Inventur des Gesamtbestandes an spaltbarem Material vornehmen. In der Aufsichtsbehörde gibt man zu, daß in der WAK untragbare Zustände geherrscht haben.

Ob in Karlsruhe der Atomklau umgeht oder die WAK-Mitarbeiter lediglich schlecht deklarieren und zählen können, die Riesenschlamperei wächst sich zu einem handfesten Atomskandal aus. Im Darmstädter Öko-Institut wird die WAK-Erklärung für das Verschwinden der Brennelemente als „zwar haarsträubend, aber plausibel“ gewertet. Nach Ansicht der dortigen Experten müssen erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Betreiber und an der Wahrnehmung der Aufsichtspflicht durch das Umweltministerium angemeldet werden. Bereits nach dem Verschwinden der drei Brennelemente vor einem Monat hatten SPD, FDP und Grüne im Stuttgarter Landtag den sofortigen Entzug der atomrechtlichen Genehmigung für die Betreibergesellschaft gefordert, waren aber am CDU-Votum gescheitert. Nach den neuen Vorfällen hat die SPD-Landtagsfraktion die sofortige Einschaltung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien verlangt, um die Vorgänge in der WAK zu untersuchen. Bei der IAEA war man gestern noch „nicht im Bilde“, da keine Meldung vorlag.

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