: CAFÉSATZ VONCHRISTOPHBUSCH
Das Cafésatz-Rezept: In einem Café jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier?
Nicht gerade mein Lieblingscafé, aber eins für tagsüber mit Sonne, und der Tee ist nicht zu teuer. Warum sitze ich hier? Ich weiß einfach — wie man heutzutage sagt, wenn's schwierig wird—, ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll. In meiner neuen Wohnung ist es laut wie auf der Ladefläche eines LKWs bei 120. Vorher war gesundheitsschädlicher Lärm für mich Statistik im Ärzteblatt oder was für Artikel über Diskos. Jetzt hab' ich selbst den Schaden.
Nicht nur wegen des Lärms suche ich Zuflucht in öffentlichen Häusern. Wenn mir zu Hause nichts einfällt, kann ich nicht ruhig sitzenbleiben, muß aufstehen, zum Fenster gehen, die Nachbarn oder die Weißkittel im Optikerladen gegenüber beobachten, an den Blumen rumschnippeln, die Musik lauter drehen, in den Eisschrank gucken oder ins Klo, ein trockenes Brötchen zerstören oder den Videorecorder programmieren. Im Café kann ich mir all das sparen. Um Zerstreuung zu finden, brauche ich nicht einmal aufzustehen.
Anfangs fand ich nur schwer in meine Caféhaus-Rolle: Klassisch ist das Zeitungsstudium. Manche lesen auch Bücher und lassen sie zwischendurch versonnen sinken. Frauen schreiben in Hefte, vermutlich Tagebuch. Hausfrauen rechnen Quittungen nach. Ehemänner studieren japanische Gebrauchsanweisungen. Touristen schreiben Ansichtskarten und helfen sich gegenseitig dabei. Studentinnen tauschen gelbgemarkte Fotokopien aus. Menschen in körperfreundlicher Kleidung malen sich ein Horoskop. Aber Zettel ausbreiten, den ganzen Tisch für sich nehmen, womöglich ernst gucken und dann noch einen Computer aufklappen: Ist doch klar, was die Leute denken: Angeber. Wahrscheinlich haben sie sogar recht. Ich mime einen Schriftsteller, und dazu noch einen ganz modernen. So viel zum Gesehenwerden.
Was das Sehen angeht, suche ich. Frauen. Aber ich weiß natürlich, daß nur die Richtige findet, wer nicht sucht. Also tue ich, als suchte ich nicht und gucke nur ein bißchen. Da das alle machen und die Frauen wahrscheinlich auch, wird in Cafés allgemein viel geguckt. Rundum, sachlich wie in einer Kunstausstellung: ach ja, ein interessantes Bild. Bloß kein Interesse zeigen, immer schön das Zufällige im Blick behalten. Und vor allem nicht lächeln. Denn Lächeln mag bei einer Begegnung auf der Straße noch ein vorübergehendes Risiko sein, aber was tun nach dem Lächeln im Sitzen über drei Tische und zwei Tassen hinweg?
Erste Möglichkeit ist Runterfahren: zurück zur Kaffeetasse — danke, das war's. Für den nächsten Blickwechsel wieder das normale Caféhaus-Gesicht arrangieren. Allerdings ist ein dezenter Einschlag von Vertrautheit erlaubt, und bei erneuter Begegnung im Café ist, wenn erwünscht, ein Nicken wie unter alten Bekannten gerechtfertigt. Die zweite Möglichkeit, mit dem losgetretenen Lächeln umzugehen, wird oft mit der ersten kombiniert, ist aber nicht zu sehen, weil pure Phantasie: Was mag die oder der Angelächelte machen, wenn gerade nicht im Café? Die anderen am angelächelten Tisch, sind das Freunde, Arbeitskolleginnen, ist Liebe im Spiel? Warum der traurige Blick, die ausländische Zeitung, der Kopfverband? Ginge ich jetzt rüber an den Tisch, was könnte ich sagen? Was wird sie oder er antworten?
All das mit sich abzumachen, bewahrt vor Enttäuschungen. Wer jedoch das Lächeln nicht aussitzt, dem bleibt nur die dritte Möglichkeit: Nach einem letzten, haltsuchenden Griff zum Kaffelöffel aufstehen, unter den Blicken der anderen Gäste rübergehen und etwas möglichst Passendes sagen.
Ich persönlich würde mich das nie trauen. So erfand ich den Cafésatz. Der macht die Hemmung zum Antrieb, den Krüppel zum Akteur. Ich bin sozusagen beruflich zum Aufstehen verpflichtet. Die Professionalisierung blieb nicht ohne Folgen: Vorhergehende Kontaktaufnahme durch Lächeln vermeide ich. Denn nach einem Lächeln wirkt mein Standardanfang: „Ich- schreibe-an-einer-Geschichte-und-zu-der-gehört-es-daß-ich-fremde-Leute-a nspreche-und- mich-mit-ihnen-über-sehr-persönliche-Dinge- unterhalte-haben-Sie-einen-Moment-Zeit?“ noch unglaubwürdiger. Am liebsten gucke ich gleich beim Reinkommen mit einem Blick in die Runde einen potentiellen Kandidaten oder eine Kanidatin aus und steuere direkt auf deren Tisch zu.
Schlimmer, als quer durch's Café zu gehen und sich einen Korb zu holen, ist es, jemanden erfolgreich um Persönliches zu bitten und es dann nicht haben zu wollen. Nach drei Sätzen denken: Das ist fertig wie eine Kontaktanzeige oder übernommen aus Psychotraktaten à la Millers Alice — kurz: Das wird nix. Dann möcht ich gleich wieder aufstehen. Aber für eine derart deutliche Mißachtung der Person bin ich zu gut erzogen. Also muß ich sitzenbleiben und wackel mit dem Knie unterm Tisch wie Männer, wenn sie im Café das erste Rendezvous aussitzen.
Aber allzuoft ist das bisher nicht geschehen. Also werde ich weiterhin in Unschuld und stellvertretend den Voyeur bzw. Auditeur machen. Die Gefragten müssen sich ja nicht einlassen, haben sogar Spaß. Erinnern sich vielleicht an ein Spiel als Kinder: an einem öffentlichen Ort mit ein paar Vokabeln in fremder Sprache auf Ausländer machen. Von sich selbst und allen andern durchschaut, aber doch in einer anderen Haut. Könnte ja sein, daß auch mir jemand endlich etwas vormachen kann, für das er/sie schon immer einen Zuhörer suchte.
Schöner wär das Spiel noch im Radio: reingehen ins Café mit Mikroport und Einverständnis erfragen. Warum sitzen Sie hier? Stimmen lassen sich verfremden. Keiner weiß, wer spricht.
ÜBERCAFÉHAUS-ROLLEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen