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Alle Sorgen dieser Welt

■ „Stein“, ein DEFA-Film von Egon Günther

Unheimlich funkeln im Dunkel die roten Sterne an der Uniform zweier Sowjetsoldaten, denen Ernst Stein eines Nachts die Tür weist. Von Anfang an sieht man, unter welch unglückseligem Stern das Leben des schicksalumnachteten Helden steht. Mitten in einer Vorstellung — es war der 21. August des Jahres 1968 — trat der Schauspieler Ernst Stein aus Protest gegen den Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei von der Bühne ab. Ein Abgang auf immer, auch von der real-planierten gesellschaftlichen Bühne. Fortan überdauerte Stein in einem hermetischen Kokon aus Wunschträumen und Erinnerungen. Ein weise-närrischer Balanceakt, der ihn sowohl vor den Zumutungen der Wirklichkeit wie vor den Risiken völligen Abdriftens bewahrte. Heimlich schweift seine Sehnsucht gen Italien, um einer imaginären Geliebten das Herz auszuschütten. Vergebens nimmt er Anläufe, sein Leben zu ordnen, die „grüne Mappe“ seiner Memoiren bleibt leer. Im einundzwanzigsten Jahr unfreiwillig-freiwilliger Isolation jedoch gerät die Welt um ihn herum in Bewegung. Rocker, Punks, Assis geraten in sein wohlbehütetes Refugium, um über kurz oder lang auf seine Kosten auszuharren. Vor allem die attraktive Sara hat es ihm angetan, die nicht zuletzt auch sein sexuelles Begehren revitalisiert. Ihr zuliebe verläßt er auch ein einziges Mal sein weltabgeschiedenes Domizil, wobei er prompt rüde dreinprügelnden Vopos in die Hände fällt. Wieder daheim, kann man ihn gerade noch vor der Selbstverbrennung retten. Als kurz darauf die Mauer fällt, geht es mit Stein schon zuende. Sterbend sieht er sich römische Ruinen hinabsteigen; Rotarmisten geben letztes Geleit. Seine einstigen Hausgäste zieht es über die nun offenen Grenze westwärts. Einzig die kleine Laura hält am Glauben an die legendäre „grüne Mappe“ fest.

Nach einem Dutzend künstlerisch wenig ersprießlicherJahre öffentlich-rechtlicher Fernsehfilmarbeit kehrt Egon Günther an die Stätte seiner Kinoerfolge vom Anfang der 70er Jahre (Der Dritte, Die Schlüssel) zurück. Naheliegenderweise handelt sein Babelsberg-Comeback von (innerer) Emigration, von versuchter Behauptung des Humanen gegen ein totalitäres System. Abwegig jedoch, daß der DEFA-Veteran gerade jene klischierten Altlasten aufnimmt, die es spätestens mit dem Umschwung in der DDR abzuschütteln gilt. Unter dem Ballast emotionaler Überfrachtung schleppt sich Rolf Ludwig als Märtyrer einer erstarrten Zeit dahin. Eine nebelverhangene Seelenlandschaft mit Sara, dem delphisch lächelnden Jungborn der Liebe, und grollenden Outcasts, denen die Blessuren durch das verhaßte Regime im Gesicht geschrieben stehen. Alle Sorgen dieser Welt versammeln sich am runden Tisch des liebenswert wunderlichen Alten, wo man rotweinselig kollektiv Wunden leckt, während von fern das Echo von Gewehrsalven schallt. Stechschritt, Mauerbruch und Tapetenreste vom 'ND‘ markieren kritisches Zeitkolorit in einem ermüdend bemühten Kammerspiel um moralisch- ethische „Bewährung“. Im zähen Finale versteigt sich der dahinscheidende Stein schließlich noch zu einer senilen Apotheose christlicher Glaubenszuversicht. Die Gruft, die er hinabsteigt, soll für die Katakomben der römischen Unchristenheit stehen: für den Zuschauer ein Alarmzeichen, aus dem bodenlosen Geschehen auszusteigen — bevor die Sowjetsterne noch bis hinab ins Totenreich weiterleuchten. Roland Rust

Egon Günther: Stein, Drehbuch: Helga Schütz, Egon Günther, mit Rolf Ludwig, Franziska Herold, DEFA 1991, 108 Min.

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