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Nur sieben kamen durch

■ Mit 40 Prüfungen in vollem Gang: der Bremer Klavierwettbewerb / Eine Promenade hinter den Kulissen

Der Kandidat aus Moskau, versehen mit Anzug und Fliege, tritt ein, tritt auf, verbeugt sich vor den fast leeren Stuhlreihen und der Jury. Wie eine Schulaula ist der Große Sendesaal von Radio Bremen zum Bremer Klavierwettbewerb um Feierlichkeit bemüht. Konzentrierte Stille. Der Kandidat rückt am Hocker vor dem Konzertflügel seiner Wahl (Bösendorfer oder Steinway), reibt seine Hände an den Hosenbeinen trocken und spielt los. Mozart zuerst. Auswendig, das ist vorgeschrieben. Die Jury, international besetzt, Richterin über Prämien oder Niederlagen, eher leger in Strickwesten, Blusen, Karojacketts, lehnt sich zurück, blättert lautlos in Unterlagen, setzt Brillen auf und ab, notiert Indizien, Beweise, Eindrücke, Urteile und macht kaum ein Gesicht dabei. Schlußakkord nach 30 Minuten. Minutenpause. Die nächste, bitte. Die Kandidatin aus Münster tritt ein. Verbeugt sich, rückt am Hocker, reibt die Hände trocken, beginnt. Mozart zuerst.

Wie kann eine Jury drei Ausscheidungs-Durchgänge mit 40 KandidatInnen absolvieren, aussortieren und der 37. dieselbe Aufmerksamkeit widerfahren lassen wie dem zweiten? Wann überhaupt spielt eine gut? Warum fällt einer durch? Wenn schon die fragwürdige Gerechtigkeit einer Mathematikarbeit unerreichbar scheint, gibt es vielleicht Punkte- Tabellen für Tempo, Anschlag, Lautstärken, Abzug für falsche Noten?

„Meine Frage ist: Möchte ich den Pianisten einen ganzen Abend lang am Klavier hören, oder ist das ein Langeweiler?“ erklärt Jurorin Gitti Pirner, Münchener Klavierprofessorin: Die Noten sind ja wie ein Redetext für alle gleich — aber wie lassen die KandidatInnen sie sprechen? Immer derselbe Singsang, ohne Punkt und Komma, oder mit Akzenten, mit einer Lautstärke und Betonung, die zum Inhalt des Gedruckten paßt? So sieht der Juryvorsitzende Peter Schilbach das auch: „Kleine Spielfehler vergißt man sofort, so wie einen Versprecher — aber wie artikuliert er auf dem Klavier? „

Die Noten können die erfahrenen JurorInnen sowieso rückwärts pfeifen. Gute Vorbereitung, technische Kenntnisse sind selbstverständlich vorausgesetzt. Und die Optik? Wie eine frisiert ist, lächelt oder stockig daherkommt, gekrümmt oder gerade dasitzt? Was einer anhat, ob er charmant oder verklemmt guckt? Naja. „Dann mach ich zur Not die Augen zu“, sagt Frau Pirner ehrlich, zum Beispiel bei dem großen Pianisten X., „der macht mich ganz verrückt mit seiner Zwinkerei.“ Nein, das Entscheidende ist: Ist er oder sie mit dem Konzertflügel eine Einheit, oder steht eine Wand zwischen der SpielerIn und dem Rieseninstrument? Manchmal gibt es so viele Ansichten wie Jurymitglieder: „Da spielt auch der Zufall der Besetzung mit — und das Glücksmoment“, weiß Frau Pirner. Ab dem zweiten Durchgang wird es auch deshalb sieben statt fünf JurorInnen geben, alle beruflich an stundenlanges konzentriertes Zuhören gewöhnt.

Bis Mittwoch abend hatten 20 der 40 KandidatInnen aus europäischen und europäisch orientierten Ländern vorgespielt. Das Niveau gilt als anspruchsvoll: ein Mozart, ein Chopin, ein Liszt oder ein Debussy, dazu ein Zeitgenosse wie Berg, Bartok, Stockhausen. Nur sieben kamen durch zum 2. Durchgang mit doppelter Spieldauer und wieder neuen Stücken, im 3. geht es um beachtliche Geldpreise, CD-Aufnahme, Ehre und Anschlußkonzerte. „Das schwierige Programm sorgt für natürliche Auslese“, erklärt Landesmusikrat Klaus Bernbacher, als Hauptausschuß-Vorsitzender fürs Programm mit zuständig, „vermutlich sind auch deshalb von den angemeldeten und zugelassenen 75 letztlich auch nur 40 gekommen.“

Eine, die den 1. Durchgang geschafft hat, ist Vaida Kirvelyte aus der Sowjetunion — nein: aus Litauen. Sie ist 25 und sieht viel jünger aus. Wie alle aus dem devisenschwachen Osteuropa wohnt sie bei einer Bremer Familie in Oberneuland und freut sich, weil sie statt der befürchteten norddeutschen Kühle in Bremen Herzlichkeit und Interesse fand. „Ich lerne hier viel auch von den anderen Pianisten, wie man auftreten soll — und wie besser nicht.“ In Vilnius hat die Philharmonie kein Geld für Konzerte oder gar Wettbewerbe mit Preisen, und wenn die Eltern nicht wären, wäre das Klavierspielen gar nicht zu finanzieren. Was müßte eine Kulturministerin tun? „Das Chaos muß endlich aufhören. Dann wird es Geld geben für Kultur — und Interesse an Musik.“ Vaidas Berufswunsch: PianistIn, natürlich. Auf jeden Fall! Susanne Paas

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