: Fast alle MdBs sind Lebensschützer
■ Der Bundestag debattierte in erster Lesung über die Neuregelung des Paragraphen 218/ Soziale Hilfen im Überfluß/ Rolle des Strafrechts ist zwischen den Bundestagsparteien heftig umstritten
Berlin (taz) — In erster Lesung beriet gestern der Bundestag über die sechs vorliegenden Entwürfe zur Neuregelung des Abtreibungsrechts. Die Debatte vor dem nur knapp zur Hälfte besetzen Plenarsaal verlief dabei in fast getragen-pastoraler Atmosphäre. Gegenseitige Angriffe und Attacken blieben nahezu aus; immer wieder riefen die RednerInnen dazu auf, die Überzeugung Andersdenkender zu respektieren. Auch Zwischenrufe gab es kaum, nur die Rednerinnen von der PDS fielen aus dem Rahmen. Sie hatten sich T-Shirts mit dem Emblem eines durchgestrichenen Paragraphen 218 angezogen. Die Debatte drehte sich um die Rolle der Strafrechts beim Schutz des ungeborenen Lebens und die Entscheidungs- und Gewissensfreiheit der Frau. Überaus großen Raum nahm die Erörterung der sozialen Begleitmaßnahmen ein, die in den Gesetzentwürfen von CDU/ CSU, FPD und SPD vorgesehen sind. Immer wieder beteuerten die RednerInnen, kinderfreundliche Rahmenbedingungen erleichterten Frauen die Entscheidung für ein Kind. SPD und FPD-PolitikerInnen beschworen das Plenum, auch ihnen gehe es um einen verbesserten „Lebensschutz“. Nur die RednerInnen von PDS und Christina Schenk vom Bündnis90 setzten andere Akzente. Die Parteien hatten vor allem ihre Frauen in die Debatte geschickt. Zunächst waren die InitiatorInnen der Entwürfe zu Wort gekommen. Für die FDP, die eine eingeschränkte Fristenregelung mit Beratungszwang eingebracht hat, betonte Frauenpolitikerin Uta Würfel, das Strafrecht könne werdendes Leben nicht in ausreichendem Maße schützen. Sie hob in ihrer Rede vor allem die „tragische Lebenssituation“ ungewollt schwangerer Frauen hervor. Würfel verteidigte vehement die umstrittene Beratungspflicht. Inge Wettig-Danielmeier plädierte für die SPD leidenschaftlich für freiwillige Beratungsmöglichkeiten. In der Frage der Abtreibung hätten Frauen schon soviel lügen müssen, daß sie auch mit einer Pflichtberatung klarkämen. Aber das „Elend der Lügnerei, der Erniedrigung und das Versteckspiel“ müßte endlich beendet werden. Das Indikationenmodell der CDU/CDU-Fraktionsmehrheit begründete die sächsische CDU-Abgeordnete Michalk. „Jeder Abbruch heißt Tötung eines Kindes“, meinte sie. Sie verteidigte die Beurteilung der Indikationen durch einen Arzt. Die Freigabe der Abtreibung sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Das Kontrastprogramm zu dieser Rede bot dann Christina Schenk, die für den UFV im Bündnis 90 ist. Sie attackierte heftig die aggressive Propaganda von LebensschützerInnen und rechtslastigen Politikern. Hier werde ein „totalitärer Herrschaftsanspruch deutlich, der sich kaum von dem der SED unterscheidet“. Ihren Entwurf zur ersatzlosen Streichung begründete sie damit, daß strafrechtliche Verfolgung keinen Schwangerschaftsabbruch verhindere. Auch die Festlegung einer Frist basiere nur auf der Unterstellung, daß Frauen nicht von sich aus das Interesse hätten, einen Abbruch zu einem möglichst frühen Zeitpunkt vorzunehmen. Auch die PDS-Abgeordnete Bläss verurteilte den „zutiefst frauenfeindlichen“ Paragraph 218. Die extreme Gegenposition dazu vertrat der CDU-Abgeordnete Hans Werner. Das Lebensrecht des Kindes habe uneingeschränkt Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Die Gesetzentwürfe sollten im Anschluß an die bei Redaktionsschluß noch andauernde Debatte in einen Sonderausschuß überwiesen werden.
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