Wahrheiten aus der Gerüchteküche

Gerüchte sind so alt wie die Menschheit. „Hast-du-schon- gehört,-daß...“ kennt keine Grenzen, keine Alters-, Geschlechts- oder Klassenunterschiede. Sie sind oft harmlos, manchmal böse, aber immer interessant. Gerüchte hört jeder gern, sie regen unsere Phantasie an, doch sie lassen sich auch durchaus taktisch und gewinnbringend einsetzen.

Die taz ist seit ihrer Gründung eine brodelnde Gerüchteküche. Die Entstehungsgeschichte eines typischen (harmlosen) taz-Gerüchts sieht folgendermaßen aus: Der etwas konfuse Medienredakteur verhandelt mit der Layouterin über die morgige Seite. Sie macht einen konstruktiven Vorschlag. Er: „Nee, das will ich nicht!“ Sie genervt: „Was wünschst du dir denn?“ So direkt mit dieser existentiellen Frage konfrontiert, fällt dem Redakteur spontan die totale Unterwerfung von Sabine Christiansen ein, eine seiner Lieblingsphantasien. Er errötet stark. Das wiederum interpretiert die Layouterin völlig falsch. Sie kommt ins Stottern und schenkt dem Redakteur ein verwegenes Lächeln.

Ein Kollege vom Sazz, der diese Szene beobachtet hat, glaubt, alles verstanden zu haben. Beim nächsten Gang zur Kaffeemaschine trifft er auf eine kleine Gruppe, die heftig über interne sozio-sexuelle Beziehungen klascht. Der Säzzer prahlt sofort mit seinem Wissen über eine leidenschaftliche Affäre zwischen Medienredakteur und Layouterin. Das Gerücht verbreitet sich schneller als der Schall. Zur Mittagszeit ist daraus schon ein langjähriges geheimgehaltenes Verhältnis zwischen den beiden geworden. Man hat es ja „schon immer geahnt“ und das „hätte man nie für möglich gehalten“ sind die beiden Extreme — aber niemand zweifelt den Wahrheitsgehalt an. Am Nachmittag gerät das Gerücht ein bißchen außer Kontrolle. Man redet von einer Schwangerschaft der Layouterin, wirft dem Redakteur Machismo und Frauenfeindlichkeit vor, aber man ist sich einig, daß taz-Beziehungen einfach nicht funktionieren können. Am Abend, wenn alles getan ist, erzählen ein paar Eingeweihte den Ahnungslosen von einer längst vergangenen tragischen Liebe, die mit Abtreibung und Depressionen endete.

Niemand wäre auch nur auf den Gedanken gekommen, die beiden Helden dieses Gerüchts direkt zu fragen. Warum auch? Die Geschichte war spannend und äußerst amüsant.

Der Psychologe Allan J. Kimmel vom Fitchburg State College in Massachusetts befaßt sich seit langem mit Gerüchten. Er will, wie die Zeitschrift 'Psychologie Heute‘ kürzlich berichtete, herausfinden, wie Gerüchte entstehen und ob man sie kontrollieren kann. Die Kontrolle hält Kimmel für immer wichtiger, da Gerüchte zunehmend Schaden anrichten. Gerüchte über Aids zum Beispiel (man kann sich im Schwimmbad infizieren usw.) erschweren zunehmend die Arbeit von Ärzten und Beratern. Außerdem werden Gerüchte inzwischen in den USA von großen Firmen taktisch eingesetzt. Wie jenes über ein amerikanisches Fruchtsaftgetränk: Die Konkurrenz hatte das Gerücht in Umlauf gesetzt, die Firma würde vom Ku-Klux-Klan kontrolliert und das Getränk würde eine Substanz enthalten, die schwarze Männer unfruchtbar macht. Die Limo-Flaschen lagen wie Blei in den Regalen.

Neue Studien zeigen, daß Menschen besonders jenen Gerüchten Glauben schenken, die bereits vorhandene Ängste verstärken. Der Psychologe Ralph Rosnow testete die Bereitschaft von Studenten, Gerüchte zu verbreiten, nachdem eine Studentin der University of Pennsylvania ermordet worden war. Rosnow setzte verschiedene Gerüchte über den Mord in Umlauf: Einmal war die Frau zufälliges Opfer eines Überfalls, ein andermal wurde sie von einem ehemaligen Liebhaber getötet. Gleichgültig wie viele Gerüchte die Studenten gehört hatten, sie erzählten jenes weiter, das für sie selbst am meisten Ängste auslöste: das Gerücht, die Studentin sei rein zufällig Opfer geworden. Das nämlich, erklärt Rosnow, kann jedem passieren und macht mehr Angst als die Vorstellung, ein ehemaliger Partner könnte sich rächen.

Warum aber erzählen Menschen Geschichten, die ihnen Angst machen? „Gerüchte“, erklärt Rosnow, „sind eine Art Hypothese, eine Spekulation, die den Menschen hilft, in eine als chaotisch und bedrohlich erlebte Welt etwas Sinn und Ordnung zu bringen.“ Wer Opfer eines Gerüchtes geworden ist, ob als Privatperson oder als Unternehmen, sollte offensiv dagegen vorgehen, raten die Gerüchteforscher. Zwar macht man dadurch noch weiter auf das Gerücht aufmerksam, aber gleichzeitig liefert man neue Informationen. Wer dann das Gerücht ohne diese Informationen weitergibt, läuft Gefahr, sich lächerlich zu machen.

Diesem Rat folgend, seien hier noch einige Gerüchte über die taz richtiggestellt: die taz ist nicht konkursreif, jedenfalls nicht mehr als in den vergangenen 12 Jahren, in denen wir das Segeln hart an der Pleite zur hohen Kunst entwickelt haben. Die taz wird deshalb auch nicht an Burda verkauft, auch wenn kaum eine Ausgabe der 'Bunten‘ vergeht, in der „Miß taz“ Georgia Tornow nicht in Wort und Bild ganz fürchterlich gelobt wird, neulich gar schon als „Gloria“ Tornow. Die Produktion der taz wird auch nicht „teilweise zu Springer“ verlagert, wie es 'dpa‘ unlängst meldete — vielmehr befindet sich der gerade von den Produktionsabteilungen bezogene Anbau an das taz-Gebäude schräg gegenüber des Springer-Verlags. Die taz wurde auch nicht bei sämtlichen Verlagen wie sauer Bier zum Kauf angeboten, wie F.Schirmacher in der 'FAZ‘ behauptet — niemand hier im Hause ist dazu legitimiert, und was einzelne Mitarbeiter beim Bier so alles erzählen und anbieten, sind bestenfalls... Gerüchte. Karl Wegmann