Kraftwerk neu ans Netz

■ Die Musiker der Elektronik-Formation Kraftwerk haben sich "immer als Menschmaschine" definiert. Ein Live-Bericht

Die Musiker der Elektronik-Formation Kraftwerk haben sich „immer als Menschmaschine“ definiert. Ein Live-Bericht.

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ie Beleuchtung flammt auf und taucht die vier Gestalten auf der Bühne in grelles Licht. Elektronische Klänge setzen ein, aber die Bewegungen der Musiker wirken seltsam eckig, mechanisch und unheimlich. Die Behauptung: „Wir sind die Roboter“, tönt aus den riesigen Lautspecherboxen. Das Publikum beginnt zu toben. Die deutsche Rockgruppe „Kraftwerk“ hat sich schon einmal von Robotern ersetzen lassen, deren Masken den Gesichtern der Band nachgebildet waren. Auf ihrer Tournee, die im Juli in England beginnt, wollen die Bandmitglieder ihre rein elektronischen Kompositionen nur noch von Robotern spielen lassen, während sie selbst sich unter das Publikum mischen.

„Eine der außergewöhnlichsten Gruppen, die jemals zu Pop-Ruhm gekommen ist“, urteilt das englische Pop-Fachblatt 'New Musical Express‘ über Kraftwerk. Seelenlose Computerklänge, sagen andere Kritiker. Es hagelte Vorwürfe wie auch gelegentlich Eier und Tomaten bei den ersten Auftritten der Gruppe in den späten sechziger Jahren.

Ihre kantigen, sparsamen Rhythmen wollten nicht so recht in die ausgehende Hippie-Ära passen. Weltruhm kam erst 1975 mit dem hypnotischen Stück Autobahn. Eine Single, ausgekoppelt aus der 22minütigen LP-Originalversion, stürmte die Charts in den USA und England und löste wahre Euphorie aus. Mehr als zwei Jahrzehnte nach ihrer ersten Langspielplatte ist die Gruppe immer noch ein unübersehbarer Eckpfeiler im großen Theater von Rock und Pop.

Die jüngste LP, die in diesen Tagen erschien, ist eine neue Abmischung der Kraftwerk-Mega-Hits. Bei dem Stück Autobahn, einer rasanten musikalischen Fahrt ins Blaue, hat der Zuhörer immer noch das Gefühl, daß die Schnellstraße direkt durch seine Boxen im Wohnzimmer führt. Eine sprachliche Erneuerung auf der LP trifft den Zeitgeist und klärt das Verhältnis der Kraftwerker zum Atomstrom. Im Stück Radioaktivität wird dem gleichnamigen Refrain das Wort „stoppt“ vorangestellt. Kraftwerk-Kopf Ralf Hütter betonte in einem Interview der Zeitschrift 'Wiener‘, Kraftwerk sei früher der Atomenergie gegenüber neutral eingestellt gewesen. „Heute sind wir strikt gegen die Verwendung der Kernkraft. Der Mensch ist dieser Verantwortung nicht gewachsen.“

Das Gesamtkonzept der Gruppe, behauptet er, bleibe unverändert: „Wir machen Umweltmusik. Wir sind das Medium, durch das hindurch unsere Musik entsteht,“ sagte Hütter der deutschen Pop-Zeitschrift 'Sounds‘.

Monate oder gar Jahre an einem Lied tüfteln

Musikstudent Hütter gründete die Gruppe 1968 in Düsseldorf mit seinem Kommilitonen Florian Schneider-Esleben. Hinzu kamen zwei Mitspieler, die regelmäßig wechseln. Den letzten Hit landete Kraftwerk 1982 mit Das Modell. Die Auskoppelung aus der LP Mensch Maschine erreichte Platz eins der englischen Hitparade. Aber seit Electric Café von 1986 war wenig von dem Elektro- Ensemble zu hören. Hütter und Schneider tüfteln nach eigenen Angaben über Monate, sogar Jahre hinweg an ihren Liedern. Die eigenwilligen Tonkonserven werden in einem Studio in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofes abgefüllt und vacuumversiegelt.

Über das Privatleben der Kraftwerk- Besetzung dringt wenig an die Öffentlichkeit. Interviews werden selten gegeben, und jahrelang wurde spekuliert, ob es die Gruppe überhaupt noch gebe. Wenn die Bandmitglieder sich äußern, dann nur, um ihr Konzept zu erläutern: „Wir haben uns immer als Menschmaschine definiert... Wenn wir nicht in ein unübersichtliches Chaos stürzen wollen, dann müssen wir Maschinen als Helfer und Freunde sehen“, meint Hütter.

Ob das Gesamtkunstwerk Kraftwerk, ausgerüstet mit gewaltigen Bildschirmleinwänden und Videos, seine Vorreiterstellung halten kann, wird erst das anspruchsvolle Konzertpublikum in England beurteilen. Auch die Plattenfirma sieht England als Teststation: „Wir wollen die Reaktion in England abwarten, bevor wir uns für Auftritte in Deutschland entscheiden.“ Das sagt Harald Engel, Pressesprecher der EMI in Köln. Hütter träumt schon davon, irgendwann einmal Kraftwerk-Roboter auf mehreren Bühnen rund um die Welt synchron auftreten zu lassen: Zukunftsmusik. Martin Bensley