: „Das Heikelste waren die Entlassungen“
■ Interview mit dem 'Libération‘-Herausgeber Serge July
taz: Heute hat der 'Spiegel‘ bei Ihnen angerufen und gefragt, ob Sie bei der taz einsteigen. Stimmt das?
Serge July: Ich dachte, Sie wissen Bescheid.
Keine Ahnung. Ich wollte nur wissen, worin 1981 bei 'Libération‘ die große Krise bestand, die zur vorübergehenden Schließung des Blattes führte.
'Libération‘ ist aus dem Mai '68 entstanden, mit Leuten, die in politischen oder gesellschaftlichen Bewegungen engagiert waren. Und daher hatten wir Arten von Entscheidungsstrukturen geerbt, die die Zeitung blockierten. Damit verbunden gab es in der Zeitung tiefe Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die Zeitung in Zukunft aussehen sollte. Eine starke Minderheit, zu der ich gehörte, glaubte, daß man eine richtige Zeitung machen sollte — die Mehrheit war zwar vielleicht gar nicht dagegen, wollte aber bestimmte Strukturen beibehalten. 1981 brach die Zeitung auseinander. Eine Mehrheit der Redakteure ging, wurde entlassen. Die Minderheit hat gewonnen. Es war ein strategischer Sieg. Die Minderheit hatte das einzige einigermaßen durchkonstruierte Zukunftsprojekt. Viele Leute aus der „Mehrheit“ haben dafür gestimmt, obwohl sie wußten, daß sie entlassen würden. Manche haben das aus Liebe zur Zeitung getan, und manche, weil sie glaubten, daß die Zeitung ohnehin nie wieder erscheinen würde.
Was war für Sie die größte Schwierigkeit in der Phase des Neuaufbaus?
Das Heikelste und Schwerste waren die Entlassungen. Zwei Drittel wurden entlassen. Außerdem mußte innerhalb von drei Monaten die Redaktion ganz umgebaut werden.
Sie sind vom Einheitslohn abgegangen und haben Fremdkapital geholt.
Aber das war später. 1981 haben wir mit geliehenem Geld angefangen.
Im Moment gibt es ein neues Projekt der Kapitalaufnahme. Die Belegschaft hat Angst, in der 'Libération‘-Holding zur Minderheit zur werden.
Wir führen eine Strukturdebatte. Für die künftigen Jahre. Denn das Problem ist überhaupt nicht aktuell. Wir gehen auf 52 Prozent runter, aber nicht weiter. Für die Zukunft aber gibt es die Frage, wie man eine Minderheitenkontrolle einrichten kann.
Wollen Sie tatsächlich, wie man liest, 'Libèration‘ zu einem der großen europäischen Pressehäuser machen?
Europäisch vielleicht, aber vor allem französisch. 'Libération‘ ist heute eine der drei Qualitätszeitungen in Frankreich, neben 'Le Monde‘ und 'Le Figaro‘. Wir wollen die ersten werden.
Nicht wenige Kritiker behaupten, daß 'Libération‘ regierungsfreundlich geworden ist.
Das müßte man mir beweisen. Die Zeitung hat sich doch immerhin ziemlich oft gegen die Regierung geäußert, mehr als andere Zeitungen — gegen die Regierung von Frau Cresson, das Budget, die Person von Frau Cresson selbst, die Europa-Politik des Präsidenten, seine Haltung während des Putsches — da war 'Libération‘ sehr kritisch. Ich glaube, das sind eher Polemiken gegen 'Libération‘.
Interview: Thierry Chervel
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