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Heilige Minderjährige

Keine Frage, Weihnachten steht vor der Tür! In den Supermärkten füllen sich allmählich die Regale mit Zimtsternen, Dominosteinen, Spekulatius und Lebkuchen in den verschiedensten Erscheinugsformen.

Auch in Bayern werden sie allmählich unruhig. Zwei Monate vor Beginn des weltberühmten Nürnberger Christkindlemarktes hat die hektische Suche nach einem neuen Christkind begonnen. 33 schwindelfreie Mädchen im Alter von 16 bis 19 Jahren haben sich darum beworben, am Freitag vor dem 1. Advent den Weihnachtsmarkt mit den Worten „Ihr Herrn und Frau'n, die Ihr einst Kinder ward“ von der Empore der Frauenkirche aus feierlich zu eröffnen. Am Donnerstag wählte eine Jury der Stadt aus dem Bewerberkreis die zwölf jungen Mädchen aus, die in den nächsten Wochen der Bevölkerung in den örtlichen Zeitungen als Christkind-Kandidatinnen vorgestellt werden.

Das Christkind mit der blonden Lockenperücke und dem Brokatgewand wird bis zum Heiligen Abend einen vollen Terminkalender haben. Neben dem Prolog auf dem „stimmungsvollsten“ deutschen Weihnachtsmarkt soll es seinen himmlischen Glanz bei Bescherungen und Weihnachtsfeiern in Krankenhäusern, Alten- und Kinderheimen verbreiten. Auch als Gast auf anderen deutschen Weihnachtsmärkten ist das seit 1969 alle zwei Jahre gekürte Nürnberger Christkind ein gern gesehener irdischer Himmelsbote.

In Nepal kümmern sie sich natürlich nicht die Bohne ums Christkind. Sie haben was viel Besseres: Eine lebende Göttin! Mehrere hunderttausend Nepalesen kamen am letzten Sonntag in Kathmandu zusammen, um die neunjährige Kumari zu sehen, die als Göttin verehrt wird. Eine Woche pro Jahr darf sie ihr Haus verlassen und wird in einem goldenen Wagen in der Stadt herumgefahren, begleitet von traditioneller Musik, von Tänzern und Jungen, die Bhairav und Ganesh darstellen, die Götter des Krieges und der Weisheit. Auch König Birendra kam am Sonntag, gemeinsam mit hohen Regierungsbeamten und Diplomaten, um den Zug der Göttin zu sehen.

Das Mädchen wird solange angebetet, bis sie das Alter der Pubertät erreicht, oder in irgendeiner Form verletzt wird. Die meisten ihrer Vorgängerinnen heirateten nie: Dem Glauben der Nepalesen zufolge stirbt der Bräutigam einer früheren Göttin nach der Hochzeitsfeier daran, daß er Blut erbricht. Na, dann lieber doch ein bayerisches Christkind. Karl Wegmann

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