: Teschek, bedien dich!
■ Gepflegtes Opernbrauchtum am Goetheplatz: Richard Straußens „Arabella“ / Regie: Tobias Richter
Im ersten Akt spielte das Orchester, als würde es schlecht bezahlt; nach der Pause ging es flotter dahin und ohne Geschlampe. Wie muß unser Coach Viotti da in der Kabine geschimpft haben! Wir aber hatten alsdann unsere Freude an der wunderleichten Musik, für die Richard Strauß jedenfalls gut ist; und schlemmten an soufflierten Akkorden und ließen uns die Seelchen vom Walzertakt schaumig schlagen. Im zweiten Akt gab es am Samstag Sonderapplaus für das gepflegte tennisweiße Bühnenbild mit Lüstern, und damit ist das meiste über die neue bremische „Arabella“ schon gesagt.
Regisseur Tobias Richter hat aus dieser überaus „lyrischen Komödie“ (Text: Hugo von Hoffmannsthal) einen weitgehend tadellosen Dreistundenabend hergestellt: Teresa Erbe sang ihre Titelrolle mit köstlicher Leichtigkeit und hatte Prunk wahrhaftig nicht nötig; das übrige Personal umtänzelte sie wie am Schnürchen, alle hatten zu tun, und es herrschte der Frieden der Vollbeschäftigung. Die Frage ist, ob das dem Stück genügt.
Strauß hat seinerzeit das ohnehin seelenvolle Libretto getreulich aquarelliert — unter seinem Pinsel ist „Arabella“ eine elegante Empfindungsmalerei geworden, aber nicht gerade die Opera light, die man gerne in ihr sieht. Ihre Entstehungsgeschichte reicht bis ins Jahr 1910 zurück, Hoffmannsthal hat sich lange mit der Oper gequält; uraufgeführt wurde sie schließlich 1933 in Dresden. Ihr Stoff verbirgt in seinem Faltenwurf alle Brisanz dieser Zeit: Da ruht inmitten der Welt als fiebertreibende Schönheit Arabella, blindlings umflattert von Bewunderern, Irrlichtern und anderen Geistersehern. Alle grabschen nach ihr, niemand kann sie erraten. Die Leute polieren ihre Empfindungen und bringen es sonst zu nichts mehr. Denken Sie mal: Das ist so ziemlich das Bild vom unglückseligen Anfang unseres Jahrhunderts.
Das war die Zeit, als vor lauter Ratlosigkeit ganz unversehens ein Weltkrieg ausbrach, den alle ein wenig ersehnt hatten; das war die Zeit, in der das Licht und andererseits die Motten erfunden worden sind: Der Mythos vom unnahbaren Wohnort des Schönen war das Wohnzimmergemälde einer gelähmten Epoche. Das soll man nicht inszenieren wie zum Beispiel das sonst ehrenwerte „Weiße Rössl“.
Und wenn doch, dann wenigstens auf Witz komm raus! Wie komisch wäre im Stück das Geflitter aus Lug und Trug und Selbstentlarvung! Richters gemeingefällige Inszenierung bringt es aber nicht zum Funkeln; sie neigt überhaupt ein wenig zur Schwermut — wie die blinden Spiegel, die Gianmaurizio Fercioni in sein wohnliches Bühnenbild deplaziert hat, auf daß sie sog. „Gegenwart“ anzeigen.
Einen gibt es, der brächte laut Text ganz anderes Leben in die Bude: Mandryka, ein reicher Wonneprotz, erobert, wo andre sich winden und grämen, die Schöne im Nu. Inmitten der erlahmten Bande von vorgestern steht er für die Vitalität der neuen Geldbeziehungen und kann nur gewinnen — und zuallererst Arabellas verschuldeten Vater, dem er den Beutel hinschmeißt: „Teschek, bedien dich!“
Leider hat Richter den Mandryka ganz unmöglich besetzt: Ron Peo ist ein passabler Bariton, wenn er auch mächtig zum Preßgesang neigt, ein Schauspieler aber ist er keineswegs. Auf der Bühne stolzierte er geschwollen herum und rettete sich, wo er hätte spielen müssen, in seine aufblasbaren Heldenposen. Wenn man schon, wie Richter, das
Ron Peo als Mandryka und Teresa Erbe als ArabellaFoto: Jörg Landsberg
Opernbrauchtum pflegt, sollte man doch diese übelste aller überlieferten Unsitten meiden. Das schönheitssüchtelige Milieu der
hierhin bitte das
Theaterfoto von dem
Paar am Tisch
„Arabella“ wäre ein so herrlich trüber Karpfenteich. Man hätte einen Hecht dafür gebraucht, stattdessen warf man diesen Sem
melknödel hinein. Das Premierenpublikum applaudierte wohlwollend. Manfred Dworschak
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