: Rigoros, aber herzlich
■ Jurek Becker hat Geburtstag — Wolfgang Menge gratuliert
Wer die Sanftheit in seinen Augen entdeckt, sollte nie außer acht lassen, daß sich Güte ähnlich verschlagen äußern kann wie Bosheit. So gelingt es ihm immer wieder, seinen rigorosen Anspruch hinter verbindlicher Herzlichkeit zu verbergen. Er vermag sogar ohne Anstrengung den Eindruck zu vermitteln, als sei er immun gegenüber jenen alltäglichen Schwächen, mit denen wir einfachen Sterblichen uns irgendwann einmal abgefunden haben, ohne daß sie uns noch peinlich sind. Was unsereins für Spontanietät hält, bedeutet für ihn Leichtsinn. Wenn er spricht, wirkt jedes Wort, als hätte er es nach sorgsamer Prüfung entlassen.
Erst als mir berichtet wurde, nun habe auch der letzte der namhaften Autoren begonnen, an einem Computer zu dichten — merkwürdigerweise war es John Updike — traute ich mich, Jurek wieder einmal vorzuschlagen, endlich auf seine altertümliche Schreibmaschine zu verzichten. Während er vorher stets so reagiert hatte, als würde ich von ihm fordern, er sollte in der Gesellschaft des zuständigen Experten Saumagen essen, reagierte er dieses Mal ziemlich liebenswürdig, sagte nur: »Quatsch«.
Doch irgendwann, ganz unauffällig, saß er dann doch an meiner Maschine und klimperte drauf rum, sogar, nach einer längeren Pause, ein zweites Mal. Während jedoch unsereins bei ähnlichen Gelegenheiten alberne Banalitäten hinplappert, wie »am Sonntag scheint des Papiers durch dem Fenster« oder nur »Wim Wenders ist dämlich«, schrieb Jurek: »Ein Buch, in dem die Ansicht eines Autors steht, ist wie ein Gegenstand, an dem das Preisschild hängt.«
Der zweite Test lautete: »Ich höre gerade von Wolfgang aus dem Nebenzimmer, daß man an einem Computer viel hemmungsloser alles niederschreiben würde, was einem durch den Kopf geht. Für erstrebenswert halte ich es aber, den gegenteiligen Effekt zu erzielen. Es sei denn, man faßt das Schreiben als eine Art Notdurft auf, die so schnell wie möglich absolviert werden sollte.«
Nachdem ich diese Proben gelesen hatte, stimmte ich seiner Ansicht zu, daß er die Vorzüge bequemer Korrekturen durch einen Computer nicht nötig habe. Daß er nicht annährend so liederlich mit der deutschen Sprache umgeht, wie die meisten, die ihr Geld (oft ganz schön üppig) durch das Abfassen von Texten verdienen, sondern sie schont, als wäre sie eine zu hütende Kostbarkeit, mag daran liegen, daß er sie als Fremdsprache erlernen mußte. Sie ist ihm — wie so vieles andere — nicht in den Schoß gefallen. Andere Eigenheiten dagegen, gleichfalls deutsch, genießen bei ihm nicht unbedingt ein ähnliches Ansehen.
Annährend so konsequent ist er sonst nur in seiner Leidenschaft für Sport, gnadenlos (zugleich perfekt) beim Erzählen von Anekdoten und Witzen. Nie wird sich Jurek Becker verabreden, ohne vorher die Sendetermine für Sportveranstaltungen überprüft zu haben. Längere Veranstaltungen entziehen ihn jeglichen menschlichen Kontakten. Selbst das Telefon wird eingehängt, notfalls, wie während der Olympischen Spiele, vierzehn Tage und Nächte hintereinander. Und verkabeln ließ er sich nur, um in Kreuzberg Football oder gar die World Series (Baseball — kann ebenfalls fünf Tage dauern) nicht zu verpassen.
Wie bedrückend konsequent er ist, mag durch die Tatsache belegt werden, daß auch er mittlerweile nicht mehr an seiner Schreibmaschine arbeitet, sondern auf elektronisches Werkzeug umgestiegen ist.
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