: Standbild
■ Wirklichkeit ausgeblendet * "Vision", 29. 9., ZDF, 20.15 Uhr
Im Ersten bestätigte der Tagesschausprecher gerade die satten Gewinne der rechtsextremen „Deutschen Volksunion“ bei den Bremer Bürgerschaftswahlen, und in West 3 ließ Ekel Alfred noch einmal echten Bürgersinn aufleuchten: „Das ist kein Mensch, das ist ein Türke“, sagte er über seinen Arbeitskollegen Yusuf, der bei ihm schlicht „Kameltreiber“ heißt. Soviel zum Umfeld.
Keine düsteren Prognosen, keine Weltuntergangsstimmung, keinen Krisen-Negativismus. Zur besten Sendezeit wollte Moderator Thomas Hegemann Visionen von einer lebenswerten Zukunft präsentieren, und das gelang ihm dann auch. Ein bißchen Mitspracherecht für die Kinder dieser Welt, ein bißchen Eigeninitiative mit der Stromspargemeinde Schönau, ein bißchen indianisches Lebensgefühl mit einem echten Häuptling. „Wir sind eine Welt“, so klang das Motto des Kindergipfels bis in das Studio hinein, dessen Fußboden aus einem großen, wolkenverhangenen Abbild unseres blauen Planeten bestand. Wie schön.
Und als die rockende Jule Neigel inmitten ihrer Show den alten Indianer herzinniglichst umarmte und dann weitersang „Schritt für Schritt in Richtung Glück“, kam es endlich auf, dieses Gefühl aus der Zigaretten-Reklame — „Come Together“, wir lieben uns doch alle, zumindest diejenigen, die sich nur ihren Kopf darüber zerbrechen müssen, ob sie ihren wiederverwertbaren Abfall in die grüne oder in die blaue Mülltonne zu werfen haben. Wie chic ist es doch, einem Bundesumweltminister die Forderung nach dem voll recyclingfähigen Fahrzeug ins Stammbuch zu schreiben. Das tut niemandem weh, am wenigsten der Industrie, das Schlimme ist nur, daß diese windelweiche Forderung aus Kindermund kommt. Stolz sind sie, über soviel Mut und ihre kritische Art zu fragen. Vielleicht wissen sie noch nicht, wie schwammig ihre Forderungen sind.
Alles lag sich in den Armen, aber es war ja zukunftsorientierte Harmonie gefragt, aber bitte schön visionär. Die großen Themen dieser Sendung? Müllvermeidung, Umweltschutz, Energieeinsparung, Nutzung natürlicher Ressourcen wie die der Sonnenenergie. Alles hehre Ziele, die heute Politiker jedweder Couleur unterschreiben würden. Wie sich die Visionäre die Bewältigung der großen Migrationsbewegungen vorstellen, wollten sie uns lieber nicht erklären. Volker Rühe hatte es ganz treffend in einer vorher laufenden Wahlsendung konstatiert: Die Ausländerwohnheime befinden sich nicht in den gutsituierten Stadtteilen. Was aber nutzt die schönste Utopie, wenn sie die Wirklichkeit ausblendet? Christof Boy
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