: Pizza Colonia
Zum diesjährigen Filmfestival in Köln ■ Von Christof Boy
Im vergangenen Jahr hat sich Köln ein eigenes Filmfest zugelegt. Dessen damaliger Leiter Bernd Schäfers fand dabei überaus großspurige Worte für die überflüssigste Sache der Welt: noch ein Filmfestival. Der Computer spielte verrückt, die Kinos blieben leer, eben weil der Computer verrückt spielte, und die Stars aus Hollywood blieben daheim, aus Angst vor Bombenanschlägen wegen der Krise am Golf. Eigentlich hatten die Veranstalter nach dem sechstägigen Desaster die selbstgestellte Frage: „Braucht Nordrhein-Westfalen ein Filmfestival?“ hinreichend beantwortet. Doch so schnell läßt Köln sich nicht von eitler Selbstdarstellung abbringen, die Domstadt will sich nicht nur mit den Orden „Weltstadt der Photographie“ (Photokina), „Kunstmetropole Deutschlands“ (im ewigen Wettstreit mit Frankfurt) und Medienzentrum (mit dem WDR, Europas größter Sendeanstalt) behängen. In diesem Jahr bemühte Oberbürgermeister Norbert Burger gar die ruhmvolle Geschichte der von Römern gegründeten Stadt, um den neuerlichen Anlauf zu rechtfertigen: „Der Kölner Raum ist seit 2.000 Jahren eine wichtige Kulturregion in Europa.“ Wenn das kein Grund ist.
Diesmal blieb Köln etwas bescheidener. Heuer gefiel man sich in der Betonung des spezifisch Regionalen, und da der Rheinländer das Plakative liebt, waren die beiden Eröffnungsfilme reine Proklamation: Das Kino ist frei, so der Titel des polnischen Spielfilms, mit dem der offizielle Wettbewerb des „2.Kölner Film-Festivals“ eröffnet wurde. Ein anderer Film gibt ebenfalls deutlich zu erkennen, worum es ihm geht: Pizza Colonia. Köln will nicht Venedig sein, auch nicht München oder Hof, nicht einmal ein NRW-Festival, schließlich hat die Landesregierung auch in diesem Jahr keinen Pfennig herausgerückt. Köln ist Köln, und Köln ist Europa.
Auf roten Fahnen ist es zu lesen. „Wettbewerb des Europäischen Films“ steht dort. Zwei andere Reihen des offiziellen Programms heißen „Europäische Debüts“ und „Europäische Jugendfilme“. Ein Filmfestival im Spagat — zwischen der Rückbesinnung auf lokale Traditionen und der Idee vom geeinten Europa. Das Konzept des Festivals spiegelt so nur das Dilemma der gegenwärtigen Situation in Europa wider: Kleinstaaterei und erwachendes Nationalbewußtsein mit aggressiven Zügen einerseits und ein unbestimmter Moloch namens Europa andererseits, das vor allem Geschäftemachern neue lukrative Märkte verspricht. Neue Märkte auch für den Film, und da liegt Köln geographisch genau richtig.
Einen gewissen Stolz kann sich Köln dabei nicht verkneifen: Mit einem Eröffnungsfilm über die Stadt, in der das Festival stattfindet — so hat es eine Kölner Zeitung recherchiert —, hat bisher noch keiner der renommierten Orte aufgewartet. Die kleinen Freuden eines kleinen Festivals.
Besser hätte Pizza Colonia also nicht passen, aber besser hätte er schon sein können. Der Film handelt vom Leben eines kleinen italienischen Restaurantbesitzers in seiner Wahlheimat. Francesco Serboli (Mario Adorf) ist ein kölscher Italiener oder ein italienischer Kölner. Einer, der Ciao und Tschö sagt; ganz Italiener, wenn er seine Frau und seine Familie verehrt, ganz Kölner, sobald er sich davonstiehlt, um die deutsche Geliebte und den unehelichen Sohn zu besuchen. Regisseur Klaus Emmerich und Drehbuchautor Bernd Schroeder griffen tief in die Klischeekiste: Küchenlatein aus dem Ristorante, eine Schrei- und Brüllorgie wie aus der Lindenstraße und die schmerzliche Abwesenheit jeglichen Humors, so daß man sich fragt, wie man diesen Film ernsthaft als Komödie ankündigen kann. Pizza Colonia ist eher ein „halwer Hahn“, so heißt auf kölsch ein halbes Käsebrötchen.
Das Kino ist frei von Wojciech Marczewski dagegen ist eine Reflexion über das Medium und eine Auseinandersetzung mit der polnischen Filmzensur unter der kommunistischen Herrschaft. Janusz Gajos ist Ex-Dichter, Ex-Theaterkritiker und Ex-Journalist. Jetzt arbeitet er für die Zensurbehörde. Seine Eingriffe in die Filme betrachtet er als Kunst — eine Lebenslüge, die über die Schäbigkeit seiner Existenz hinwegtäuschen soll. Ausgerechnet in einem Kino mit dem Namen „Freiheit“ regt sich dann Widerspruch, und zwar auf der Leinwand. Einige fiktive Darsteller weigern sich plötzlich weiterzuspielen und beginnen über den Sinn ihrer Rollen zu diskutieren. Marczewski zitiert hier Woody Allens The Purple Rose of Cairo, in dem der Held schließlich von der Leinwand steigt. Doch anders als Woody Allen beläßt es der polnische Regisseur nicht bei einer romantischen Liebesgeschichte zwischen der Kinobesucherin Mia Farrow und ihrem Helden, sondern nutzt das Verwirrspiel von Leinwandfiktion und Wirklichkeit zu einer Betrachtung über die Freiheit der Kunst und die Macht der Bilderbotschaften. Wenn schließlich Tom Baxter, der Held aus The Purple Rose of Cairo, von dem amerikanischen Film in den polnischen hinübersteigt und der Filmzensor durch die Leinwand in eine andere Welt tritt und dort den Schatten der wegzensierten Schauspieler begegnet, gelingen Marczewski scharfsinnige und satirische Einsichten über das Medium.
Manchmal sind Filme schlecht, aber trotzdem unverzichtbar. Zum Beispiel der jugoslawische Film Das Original der Fälschung von Dragan Kresoja. Zwei Handlungen laufen parallel, doch der Zuschauer erhält über drei Viertel des Films nicht den geringsten Hinweis, worin der Zusammenhang der Geschichten bestehen könnte. Die eine erzählt vom Schicksal dreier Menschen unter der Herrschaft Titos. Zwei Männer lieben eine Frau. Als Lena von dem Dorflehrer ein Kind erwartet, scheint sich das Beziehungsgewirr im Grau des Alltags zu verlaufen. Doch der leibliche Vater wird ins Gulag abtransportiert. Nun kümmert sich der Nebenbuhler um die alleinstehende Frau, ist dem heranwachsenden Kind ein Vater. Irgendwann kommt der Lehrer zurück — ein gebrochener Mann. Doch noch mehr leiden muß der kleine Junge — eine verworrene Kindheit mit zwei Vätern. Die zweite Erzähllinie führt ins Jugoslawien in den Tagen vor dem Zerfall des Vielvölkerstaates. Ein Parteivorsitzender kämpft mit seiner Vergangenheit und mit der ungewissen Zukunft des Landes. Er steht vor einem Scherbenhaufen und nennt es Demokratie. Zum Schluß wird klar, daß der Reformkommunist der kleine Junge zwischen den beiden Vätern ist. Ein Mann, innerlich zerrissen wie sein Land. Der Film sagt mehr über die derzeitige Lage in Jugoslawien als so mancher Bericht vom Kriegsgeschehen in Kroatien.
Ganz Europa voller Festivals. Irgendein Schlaukopf hat sie gezählt und ist auf 300 Filmfestivals gekommen. Mit dem Anwachsen der Zahl muß sich zwangsläufig ihr Charakter ändern. Sicher gibt es ein erstes Mal für einen Film, aber nur noch wenigen Festivals gelingt es, einen Film zum ersten Mal zu zeigen. Viele Filme, die in Köln liefen, waren vorher schon auf anderen Festivals zu sehen. Viele Filme, die in Köln liefen, kamen schon in der Woche darauf ins Kino. Avant-Premieren nennt man das. Für die Filme mit sicherem Verleih blieb Köln nur lästige Durchgangsstation auf dem Weg zum Publikum, für die anderen führte Köln in die Sackgasse. Denn unfreiwillig verschärft jedes neue Festival die Situation für Außenseiterfilme. Es hört sich paradox an, doch gerade mit der so ehrenwerten Absicht, durch die Preisverleihung unbekannten europäischen Produktionen bessere Startchancen zu sichern, bewirken die Jurys all dieser Filmfestivals das genaue Gegenteil. Filme, die nicht ausgezeichnet werden, haben es noch schwerer. Wenn sie auf einem der folgenden Festivals wieder leer ausgehen, vertieft sich der Graben zusehends, bis sie endgültig von der Leinwand verschwinden. Meistens werden jene Filme ausgezeichnet, die schon einen Preis bekommen haben. Da kann man nicht schief liegen. Die Jurys möchten sich schließlich nicht mit umstrittenen Entscheidungen desavouieren und wählen den sicheren Weg. In Köln bekam in diesem Jahr Urga den „Goldenen Dom“, an den eine Vertriebsförderung von 100.000DM gekoppelt ist. Urga hatte bereits in Venedig den „Goldenen Löwen“ erhalten. Das Kino ist frei ging leer aus. Unterstützt wird, was Konsens ist.
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