Unrühmliche Ausnahme-betr.: "Eine Ökosteuer für den Binnenmarkt", taz vom 25.9.91

betr.: „Eine Ökosteuer für den Binnenmarkt“, taz vom 25.9.91

Meine Bemerkung zur EG-Berichterstattung der taz läßt sich gut im Kommentar von Götz Aly, der am gleichen Tag erschienen ist (Seite 12) zusammenfassen: „Deutsche Weltprovinz. Internationale Institutionen gewinnen an Gewicht — die taz verpaßt den Anschluß.“

Während sich die übrige Berichterstattung der taz über internationale Organisationen alles in allem auf einem für eine linke Zeitung recht hohen Niveau bewegt, macht die EG- Berichterstattung hiervon eine unrühmliche Ausnahme. Hier findet sich alles, was ins Vourteilskabinett der deutschen Linken gehört: die EG als bürokratische Monsterorganisation, bürgerfern, undemokratisch, den Konzerlobbies hörig (Beispiele dafür gibt's genug, und daran sieht man ja, daß das Vorurteil stimmt) und technokratisch. Besonders gut läßt sich das an der Diskussion um die Reaktion der EG auf den Treibhauseffekt festmachen. Eigentlich würden wir Grüne in Deutschland das ja alles viel besser machen, wenn man uns nur ließe. Dann könnte am deutschenWesen die Welt (ökologisch) genesen. Mit den atomhörigen Franzosen, die nur ihre marode Industrie retten wollen, hätten wir ohne EG nichts zu tun. Schließlich gehört es zum Standardwissen jedes Grünen, daß die Franzosen große Umweltignoranten sind und ihr Umweltminister zwar ein ehemaliger Ökoaktivist, aber doch nur ein Feigenblatt. Daß das französische Atompotential für die Stromerzeugung kaum noch ausbaubar ist und deshalb auch nichts für eine CO2-Reduktion hergibt, die Franzosen stattdessen die Emissionen des Verkehrs reduzieren wollen (vielleicht mit atomgetriebenen Renaults, wer weiß?), paßt da wohl nicht ins Konzept und wird deshalb auch nicht erwähnt. [...]

Leider ist eine solche Berichterstattung, die schreibt, was das Publikum hören will keine Ausnahme. Wir sind unauflöslich mit der EG verflochten, die in immer mehr Bereichen unser Leben bestimmt. Die Antwort vieler Linker darauf ist es, die EG konsequent zu ignorieren und die diesbezügliche Politik den Konservativen zu überlassen. [...]

Aufgrund der Verflechtung im Binnenmarkt wird die EG das Forum für die Bekämpfung des Treibhauseffektes sein. Entweder gibt es eine EG-weite Anti-Treibhauspolitik oder es gibt gar keine. Vielleicht würden es die Deutschen noch zu einer entsprechenden Politik bringen, die meisten anderen Mitgliedstaaten aber sicher nicht. Zum Glück sitzen wir ja nicht im gleichen Boot, so daß wir die Imperative der Zusammenarbeit ruhig vernachlässigen können!

Der Streit um die Atomkraft als Ausweg zieht sich durch sämtliche internationalen Konferenzen und bewegt sämtliche Länder, die sich überhaupt mit dem Problem beschäftigen. Wie kann man da so naiv sein zu glauben, daß dies in der EG anders sein könnte? Hiert trifft man auch auf den Grundirrtum so vieler Amateure im Bereich der internationalen Beziehungen: Eine internationale Organisation kann nicht gegen sämtliche Mitgliedsstaaten „anregieren“, eben weil sie keine Regierung ist. Die EG mit ihrer staarken supranationalen Kompetenz kann aber in begrenztem Maß widerstrebende Mitgliedsstaaten zur Verhaltensänderung bringen. Dies ist kein glorreiches Geschäft, sondern erfordert viel Überzeugungsarbeit und ein behutsames Ausloten von Kompromissen. Die Spanier, die zur Zeit in einer dem deutschen Wirtschaftswunder vergleichbaren Wachstumseuphorie stecken, dazu zu bringen, den Ratsbeschluß zur Stabilisiserung der Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2000 auch nur mitzutragen, ist eine beachtliche Leistung. Ähnliches gilt für die Einbindung der Briten. Und vielleicht hat der Korrespondent auch vergessen, daß die EG bisher die einzige große Industriemacht ist, die überhapt einen Beschluß zur Stabilisierung von CO2-Emissionen gefaßt hat.

Mit solchen Fragen gibt sich aber die deutsche ökologische Linke gar nicht ab. „Think locally, act locally“ scheint das Motto zu sein, und so senden die Grünen drittklassige Leute ins Europaparlament (das ja ohnehin keinen Einfluß hat...), geben sich deutsche Umweltverbände nicht die geringste Mühe, einmal selbst in Brüssel aktiv zu werden (beklagen sich aber über den großenEinfluß der Industrielobby, die sich allerdings nicht in endlosen Grundsatzdebatten über die Bewertung der EG verliert, sondern in großer Zahl vor Ort arbeitet). Die Eifersüchteleien der großen internationalen Umweltverbände (Greenpeace, WWF, Friends of the Earth) verhindern, daß das Europäische Umweltbüro (Dachverband der EG-Umweltverbände) aus seinen kärglichen Arbeitsbedigungen herauskommt. Bei den Gewerkschaften sieht es ähnlich aus. Dies liegt nicht an den finsteren Machenschaften der Eurokraten und der Industrielobby, sondern am zur Tugend erhobenen Provinzialismus der Linken. Unterdessen wird das Europäische Umweltbüro zum größten Teil von der Kommission (!) finanziert.

In dieses traurige Bild fügt sich die taz und besonders ihr Brüsseler Korrespondent nahtlos ein. Für einen guten Journalismus reicht es eben nicht, wenn man statt der Presseerklärungen der Industrie die der Umweltverbände unkritisch abschreibt. [...] Für die EG ist die Meinung die Meinung des taz-Korrespondenten unerheblich, für die ökologisch orientierte Linke in der Bundesrepublik jedoch nicht. Hier wird Analyse durch Ideologie ersetzt und damit eine Chance verpaßt, den Entscheidungsprozeß zu beeinflußen. Auch für die Linke sind in der EG Handlungsspielräume vorhanden, nicht nur in der Umwelt-, sondern zum Beispiel in der Asylpolitik. Mit den alten ideologischen Scheuklappen werden diese Chancen allerdings verpaßt. Markus Jachtenfuchs, Bonn