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Der unbequeme Bischof Gottfried Forck geht

■ Nahm sich den »Mühseligen und Beladenen« an/ Er wird noch gebraucht

Es ist leicht, über deutsche Kirchenfürsten lästerliche Reden zu führen. Ob in Ost oder West — mit ihren öligen biblischen Floskeln gleichen sie oft einem Hochspringer, der gewaltigen Anlauf nimmt, um noch vor dem Absprung die Notbremse zu ziehen. Wenn auch — regimebedingt — aus unterschiedlichen Gründen, so waren und sind doch viele wahre Experten der Doppelzüngigkeit. Gottfried Forck, Jahrgang 1923 und bis vorgestern evangelischer Bischof von Berlin-Brandenburg (Ost), entspricht diesem Modell in keiner Weise. Sparen wir uns die genauen biographischen Angaben. Forck war — in dieser Reihenfolge — Marienesoldat, Theologiestudent, Hochschulassistent, Doktorand, Studenten- und Gemeindepfarrer, Leiter des Predigerseminars Brandenburg, schließlich seit 1981 Bischof. Der Theologe Forck kommt ohne weiteres mit einer Zunge aus. Deshalb war er dem Staat DDR, der seinen Bürgern schizoides Verhalten abverlangte, unbequem. Forck hat die Botschaft des Evangeliums, sich der »Mühseligen und Beladenen« anzunehmen, ernstgenommen. Im letzten Jahrzehnt des SED-Staates befürwortete er, daß sich Friedensbewegte und Basisdemokraten unter dem Dach der evangelischen Kirche versammelten. Zunehmend fiel ihm die Rolle des Beschützers oppositioneller Gruppen zu. Forck ist ein Mann, der Bescheidenheit ausstrahlt. Er sieht die Menschen direkt an, und ich scheue mich nicht, seinen Blick »gütig« zu nennen. Er hört genau zu und läßt sein Gegenüber ausreden. Wer in Bedrängnis geriet und sich an Forck wandte, fand ein offenes Ohr. Oft hat der Bischof den unbequemen Platz zwischen sämtlichen Stühlen eingenommen. Manchmal war er der einzige mutige Parteigänger derjenigen, welche in Gefahr waren, von SED und Stasi kaputtgespielt zu werden. Wenn an diesem bösen Spiel — aus taktischen Gründen — ein kirchliches Organ irgendwie beteiligt war, dann kam es vor, daß Gottfried Forck plötzlich ganz allein dastand.

Mit zunehmendem Alter ist der Bischof nicht ruhiger geworden. Zu Wendezeiten gehörte er zu den Initiatoren des heute fast vergessenen Runden Tisches. Auch der »neue« Staat hat noch nicht viel Freude an ihm gehabt. Seine Stellungnahmen zu Abrüstung und Militärseelsorge, zu Hausbesetzungen oder Arbeitslosigkeit sind unbequem. Wie alle Menschen mit starkem Persönlichkeitsprofil polarisiert auch Altbischof Forck die Meinungen über seine Person. Von vielen ehemaligen DDR-Oppositionellen, seien sie Christen, Atheisten oder Agnostiker, wird er schlicht geliebt. Weniger geliebt wird er von etlichen Brüdern und Schwestern im Glauben. Zu häufig hat er den innerkirchlichen Intrigenhügel mit seinen direkten Worten gestört. Lästig ist Forcks Warnung vor einem neuen Untertanengeist der Christen im geeinten Deutschland. Viele scheinen froh zu sein, daß er endlich geht. Das 'Berliner Sonntagsblatt‘, Wochenzeitung der evangelischen Kirche, plazierte am 29. September den scheidenden Bischof auf die untere Hälfte der Seite sieben. Elsbeth Zylla

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