: Die fremde Dschungelseele des Kölners
Am letzten Sonntag feierten am Kölner Tanzbrunnen 60 Stämme und fast 9.000 BesucherInnen das 1. Kölner Stämmefest. Uta Rotermund hat sich, als Mädchen aus dem Kohlenpott, auf fremdes Terrain vorgewagt.
„Hunnghahunngha! Hunnghahunngha! Hunnghahunngha!“ Die Lautsprecherboxen an der Bühne vibrieren verhalten ob des Gebrülls aus nikotin- und kölschgetränkten Kehlen. Der Herr neben mir ist aus Eisenach und findet's nett.
Der barbarische Schlachtruf der 1.Kölner Hunnenhorde von 1958 schreckt ihn ebensowenig wie die scheppernden Fanfarenklänge der Original Kölschen Ritter. Dabeisein ist alles! Und beim „1. Kölner Stämmefest“ sind alle dabei, die die Fotografen Petra Hartmann und Stephan Schmitz in vier Jahren auf über 18.000 Fotos und letztendlich in einem Bildband festgehalten haben. Die Beckendorfer Minschefresser, die Präriefreunde Köln, die Carson City Company, die Löstigen Gladiatoren, die Löwenhorde Wahn, die Gleueler Mongolen... Insgesamt 60 Stämme feiern im vollen Ornat mit Kölsch, Pommes, Bockwurst und Showeinlagen das Erscheinen IHRES Buches Kölner Stämme (Verlag Vista Point, Köln). Stämme, das sind Menschen zwischen zwei und achtzig Jahren, die sich in ihrer Freizeit und Philosophie dem anderen, dem Exotischen gewidmet haben. „Aus Spaß an der Freud!“, wie es in Köln heißt. Die fehlende exotische Hautfarbe wird mit schwarzer, roter oder gelber Körperschminke nachgeliefert. Der Perfektionismus allerdings, mit dem Stämme ihren Originalen nacheifern, ist weniger exotisch als preußisch. Die „Kölner Präriefreunde“ zum Beispiel sind inzwischen in der Lage, den echten Indianern Nordamerikas Nachhilfe zu geben: Sticken mit Stachelschweinborsten learned in Cologne!
Volles Ornat heißt ebenso preußisch in monatelanger Handarbeit angefertigte farbenprächtige Kostüme im Wert zwischen 800 und 5.000 DM, das Gewicht zwischen vier und 40 kg. Selbstverständlich extra in Gewicht und Preis zu berechnen sind Waffen, Tafelgeschirr, Möbel, Zelte, die rund um den Tanzbrunnen aufgebaut sind. „Alles originalhistorisch nachgebaut!“, erklärt mir ein freundlicher Mongole mit original nichthistorischer Kölschfahne, und ich rätsele, ob der asiatisch verwandelte Herr vor mir den Zopf auf seinem völlig kahlen Schädel mit doppelseitigem Klebeband befestigt hat. Und auch das zwischen Elizabeth Taylor als Cleopatra und Saturday-Night-Fever changierende Augen-Make-up der hunnischen, tartarischen und barbarischen Damen mit olivgrünem bis curryfarbenem Teint kann ebensowenig unter naturalistischer Detailtreue eingeordnet werden wie das lustig flackernde Schamanenfeuerchen aus holländischen Tomatenkisten. Das ist eben die Dschungelseele des Kölners, die sich laut Dr.Hermann-Josef Berk, Psychotherapeut, Gerichtsgutachter und Mitautor des Buches Kölner Stämme, „...durch die Fähigkeit auszeichnet, auch das Heterogenste in sich festzuhalten und zu vereinen“. Fürstin Kara vom Stamme der Rakjas, Mitglied der Kalker Barbaren, privat verehelichte Ingeborg Paulus, klärt mich, unwidersprochen von Fürst Kara, über die praktische Anwendung besagter Fähigkeit auf: „Im Verein hab' isch nischt zu sagen als Weib. Aber zu Hause is es genauso wie woanders auch, da hab' isch die Hosen an, und mein Mann tut was isch will.“ Und während Carmen Thomas auf der Bühne mit einem Schotten über die praktischen Vorzüge des der holden Weiblichkeit zugedachten Textils Rock parliert: „...beim Pinkeln klemmt kein Reißverschluß“, ertönt hinter mir glockenspielklar und voller Unschuld erst das Lied von den Eingeborenen Trizonesiens und dann vom Polenmädchen, das nicht küssen wollte.
Da ist sie wieder, die einem Mädchen aus dem Kohlenpott ach so fremde Dschungelseele des Kölners. — „Hunnghahunngha!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen