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Volles Dramenleben

■ Georg Heyms „Grifone“ uraufgeführt

Kein Wunder, daß Grifone von Georg Heym 80 Jahre zwischen den Deckeln der Gesamtausgabe schmorte. Dieses Stück läßt sich nicht von germanistischen Lyrikinterpreten ausdeuten; es muß gespielt werden. Was das Bielefelder Stadttheater mit seiner Uraufführung auf die Bühne brachte, war ein richtiger Renaissanceschinken mit expressionistischen Verzerrungen.

Grifone (etwa 1910 entstanden) ist nur eins von mehr als einem Dutzend Stücken des mit 25 Jahren beim Eislaufen ertrunkenen Heym. Der junge Lyriker kannte das Theater kaum. Seine dramatischen Versuche sind Ergebnisse seiner Lesefrüchte. Themen und Figuren bei Grifone erinnern deshalb nicht von ungefähr an Hamlet, Macbeth, Othello und vor allem an RichardIII. Das Stück ist ein Blankversdrama über Mordbuben, die durch Perugia schleichen.

Gerade hat der Sippenälteste der Baglioni sich zum Fürsten geputscht, da sinnt sein Neffe Carlo darauf, den Thron zu erlangen. Wie Jago träufelt er deshalb seinem Bruder Grifone, den er zur Intrige braucht, das Gfit der Eifersucht ein: dessen Frau Zenobia betrüge ihn mit Simonetto, dem Fürstensohn. Grifone, ein weggetretener Naturschwärmer, der lieber in herbstlicher Abendstimmung versinkt als in den Armen seiner Gattin, zaudert wie Hamlet, sich zu rächen. Erst als Carlo den Baglioni und dessen Kamarilla meuchelt, ersticht Grifone als Mittäter im Blutrausch auch den Simonetto. Das aber bringt ihm Zenobia nicht wie erhofft zurück. Sie entleibt sich nekrophil auf dem nackten Geliebten. Auch Carlo reüssiert nicht wie gewünscht — im Hintergrund hat Gianpaolo, ein mißachteter anderer Sohn Baglionis, längst die Macht an sich gerissen.

All das ist so, wie Klein Georg sich Theater vorstellt — dieser Griff ins volle Dramenleben macht Spaß. Die Tragödie dräut: es wird gigantisch gemeuchelt und geliebt. Ausgegraben vom Bielefelder Dramaturgen Alexander Gruber wirkt dieses blutdurchtränkte und seiner Zeit gemäß schwülstige Stück durchaus aktuell, denn geputscht wird ja auch heutzutage auf Teufel komm raus. Durchringen zum saftigen Augenschmaus konnte sich der Regisseur Dieter Reible nicht ganz. Zu Beginn des Abends bekommen die Zuschauer den falschen Eindruck eines politischen Lehrstücks. Erst als Zenobia in einem langen Monolog zwischen Lüsternheit und Selbstmord an der Leiche des Geliebten Zerrissenheit vorführen darf, kommt endzeitlicher Schauder auf. Man merkt dann, wo es hingehen könnte in Grifone: in die Pracht dantesker Untergangsvisionen. Der passive Held Grifone wird zerrieben im Spiel der Mächtigen. Bitter resümiert er, was wir seit alters erleben: „Die Mörder aber gehen ungestraft hinaus und leben weiter an den vollen Tischen.“

Natürlich trägt Grifone eine Staubschicht und bleibt eine exotische Ausgrabung, aber die Endzeit in Blankversen des genialischen Frühexpressionisten Heym macht mehr Spaß als das Geschwafel postmoderner Dramatiker. Die Uraufführung bot trotz allem Instant-Stadttheater immer noch sättigendes Theaterfutter. Wolfgang Brosche

Georg Heym: Grifone. Regie: Dieter Reible. Bühne: Thomas Richter-Forgách. Mit Ines Krug, Christine Schrader, Benjamin Armbruster u.a. Bielefeld, Theater am Alten Markt. Nächste Aufführungen: am 3., 9. und 12. Oktober.

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