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Irgendwie allgemein menschliche Werte

■ Schriftsteller wollen Verein gründen, der eigentlich keiner sein soll

Etwa sechzig SchriftstellerInnen, überwiegend aus der ehemaligen DDR hatten sich auf Initiative von Helmut Frauendorfer, Freya Klier und Jürgen Fuchs im Haus der Demokratie in der Friedrichstraße getroffen. Sie einte die Unzufriedenheit mit den alten Schrifstellerorganisationen und der Wunsch, die Gründung eines neuen zumindest in die Wege zu leiten.

Sarah Kirsch, Ralph Giordano, Bettina Wegener und Wolf Biermann hatten Grußadressen an diejenigen genannt, die als »integre Personen« (Freya Klier) eingeladen worden waren und sich zunächst und recht peinlich, wie die Schüler einer neu zusammengestellten Schulklasse einander vorstellten.

»Wie geht's Dir — gut?« Die Frage eines Ex-DDR-Schriftstellers an seinen Kollegen in der Kaffeschlange schien irgendwie symptomatisch für das Treffen gewesen zu sein. Auch wenn eine Schriftstellerin über Sprach- und Sinnlosigkeit weinte, in einer Zeit, in der »nichts mehr gültig ist, weder das Wort, noch die Schrift«, sollte das »schlecht« doch vermieden werden. »Es wird doch viel zu viel gejammert«, erklärte Helmut Frauendorfer in seinem Eingangsvortrag, fragte, wo die deutschen Schriftsteller angesichts der Ausländerhetzjagd in Hoyerswerda seien und forderte »die Präsenz des Intellektuellen im politischen Diskurs« wieder herzustellen. Gegen den »Mehrheitspopulismus« setzte er die Minderheit bzw. ein »vorgelebtes Minderheitenverhalten«, daß die Schriftsteller praktizieren sollten. Angesichts des moralischen und politischen Versagens des Schriftstellerverbandes »VS« — Kollaboration mit dem DDR-Regime, zu späte Stellungnahme gegen die Teilnahme iranischer Verlage auf der diesjährigen Buchmesse und Klüngelwirtschaft waren nur einige der Vorwürfe, die auch von den anderen Teilnehmern erhoben wurden — forderte er »eine Art von Organisation«, die keine Gewerkschaft, sondern eher ein Forum sein müsse, das durch Institutionalisierung den schriftstellerischen Zufallstreffen bei Wettbewerben oder Seminaren entgegenwirken könne, in dem auch »für die Jüngsten« ein Platz sein müsse und der den Austausch mit anderen, neuen Schriftstellerorganisationen in den osteuropäischen Ländern organisieren könnte.

Sprach der Exilrumäne Frauendorfer den meisten auch aus dem Herzen, die Leerstelle, die die gescheiterten Ideologien hinterlassen haben, konnte er — wie einige andere auch — nur mit Leerformeln besetzen: »Allgemein menschliche Werte« und eine »humanitär geprägte menschliche Sprache, in der der Mensch als solcher erkennbar bleibt« erschienen Stefan Krawczyk jedenfalls als etwas schwammig, wenn es um die von Freya Klier geforderte Einmischung gehen sollte. Überhaupt wäre es »das dümmste«, sich in den »Meinungskampf« einzumischen, und »wer in der Stellung sitzt, muß damit rechnen, daß geschossen wird«.

Während draußen die Sonne auf die Mercedesse im Schaufenster ein paar Häuser weiter scheinte und drinnen das Kunstlicht mit jeder der zahlreichen Geistesarbeitszigaretten diffuser wurde — das sei irgendwie symptomatisch, bemerkte Stefan Krawczyk —, gab man sich im allgemeinen gedämpft hoffnungsvoll;

Der »Verein«, den man schließlich am 30.11. gründen will, versteht sich nicht als Gegengewerkschaft, sondern in erster Linie als Forum, in dem politische Einmischung und das Reden über das eigentliche Geschäft des Dichters, die Literatur, Hand in Hand gehen sollen. Einen »Verein« wollen die vereinsmüden Schriftsteller, die nicht in der Einsamkeit des Schreibens versinken wollen, ihren Club eher aus taktischen Gründen nennen, um die notwendigen Gelder und auch noch einige ABM-Stellen für ihren »Gesprächskreis mit der Absicht öffentlichen Ausdrucks« zu bekommen. Nicht nur Schriftsteller, sondern auch alle anderen, die mit dem Wort arbeiten — Übersetzer, Journalisten, Literatur- und Wirtschaftswissenschaftler usw. —, sollen mitmachen dürfen. Victor Böll erklärte daß die Heinrich-Böll-Stiftung wohl als einer der Geldgeber für die »Schriftstellerorganisation, die sich den Ereignissen stellt«, in Frage komme. Detlef Kuhlbrodt

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