Kreuzberger Kunstszene intim

■ art:berlin führt durch Ausstellungen in SO 36

Laut Selbstauskunft will »art:berlin Reisen zur Kunst« Kunstinteressierten mit »informativen Streifzügen durch den Kunst- Dschungel der Hauptstadt« eine Orientierungshilfe geben. An diesem Sonntag sind außer mir nur noch zwei Interessenten vor dem Künstlerhaus Bethanien erschienen, so daß wir eine exklusive Privatführung von der Kunstkritikerin Elke Melkus erhalten.

Das Künstlerhaus Bethanien eignet sich gut als Ausgangspunkt, denn dort gibt es zur Zeit gleich drei Ausstellungen zu besichtigen. Nach einer Einführung in die Geschichte des ehemaligen Diakonissenkrankenhauses beginnen wir mit »9 Hasenheide 9« vom Kunstamt Kreuzberg. Neun Künstler, deren Gemeinsamkeit darin besteht, ihre Ateliers im Gewerbehinterhof der Hasenheide 9 zu besitzen, zeigen unterschiedliche Arbeiten von monochromen weiß- grauen Tafelbildern über Rauminstallationen bis zu bewegbaren Maschinen aus Schrotteilen. Nach kurzen Anmerkungen zu den Materialien einzelner Werke und ihren Herstellungsverfahren geht es weiter in den zweiten Stock, wo das Frauennetzwerk Goldrausch unter dem Titel Ohne Kompromiß 14 Berliner Künstlerinnen Ausstellungsmöglichkeiten bietet. Elke Melkus stellt die verschärfte Situation und die besonderen Probleme von Künstlerinnen im Kunstbetrieb dar: angefangen bei der Suche nach Ausstellungsmöglichkeiten bis zum »Überlebenskampf« auf dem Freien Kunstmarkt. Die dritte Ausstellung im Bethanien zeigt in Berlin entstandene Arbeiten des iranischen DAAD-Stipendiaten Hossein Valmanesh: Earthly Shadow erzählt ästhetisch mit sparsam im Raum verteilten Fundstücken aus verschiedenen Materialien wie Sand, Zweigen, Erde und Steinen Geschichten vom Reisen (bis 13.10.).

Der »institutionalisierte« Teil ist damit beendet, und wir besuchen dann zwei unbekanntere, nicht so leicht zu entdeckende Galerien. In den »Katakomben« des Querhauses, einem ehemaligen Luftschutzkeller, hat der Österreicher Bertolt Bock versucht, mit seinen Collagen aus Fotos, Texten, Zeichnungen und Aquarellen einen Bezug zu den — fast übermächtigen — Räumen herzustellen. Bereitwillig beantwortet er Fragen, berichtet von seinen die Ausstellung begleitenden Performances und weist auf den Idealismus bildender Künstler angesichts ständig steigender Ateliermieten hin. Weitere Station ist das Kunst Büro Berlin in der Skalitzer Straße, das Objekte von Ralf Behrendt zeigt. Die mehrfachen Bedeutungen seiner Arbeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick: die an der Wand befestigten Worte »Promised Life« setzen sich aus Buchstaben zusammen, die wiederum aus den Buchrücken von Groschenromanen bestehen und damit Verlust und Versprechen noch einmal thematisieren. Zum Abschluß sehen wir uns in der Elefanten Press Galerie die Reportagen aus dem Niemandsland der Fotografin Bettina Flitner an.

Mit dem Wechsel der Ausstellungen wird sich das Programm der etwa zweieinhalbstündigen Rundgänge ändern. Aber auch die jeweilige, zufällige Gruppenzusammensetzung nimmt Einfluß auf die sehr persönlich gestaltete Führung. Elke Melkus kennt die meisten der Künstler und Galeristen und ihre Entwicklung der letzten Jahre, weiß z.B., wer mit wem in welchem Atelier arbeitet, kann über Ausstellungsräume, erhaltenen Stipendien und Preise und den sozialen Hintergrund der Kunstproduktion informieren. Das Gelingen einer solchen Führung hängt davon ab, was die Teilnehmer von ihr erwarten und welche Informationen sie einfordern. Aber erst die Qualität der besichtigten Kunstwerke entscheidet, ob sie eine Diskussion unter den Teilnehmern provozieren können und es nicht nur um das »Erlebnis Kunst« am authentischen Ort geht, und ob reale Erfahrungen und Auseinandersetzungen damit angestoßen werden. Denn Ziel sollte nicht die Übertrumpfung durch noch interessantere Erlebnisse sein, wozu nach den klinisch weißen Ausstellungsräumen der lezten Jahre die »pittoresk-verkommene Romantik« einer Kreuzberger Hinterhofgalerie gehört, sondern die Thematisierung des Kunstverständnisses der Teilnehmer. Primär wird es darum gehen, mit einer Mischung aus Stadtteilgeschichte, pädagogisch einführenden Erklärungen zur modernen Kunst und Insiderinformationen den Besuchern den Eindruck zu vermitteln, sie hätten einen Einblick in die unabhängige Kunstszene gewonnen.

Zusätzlich zu den festen wöchentlichen Galerierundgängen, außer der Tour durch Kreuzberg stehen noch der Prenzlauer Berg, Berlin Mitte und die Fasanenstraße auf dem Programm, stellt art:berlin individuelle Führungen zusammen, die speziell auf die Interessen der Teilnehmer zugeschnitten werden (Info: 2159868) Bettina Schültke

Sonntag 14 Uhr

Treffpunkt für den Ausstellungsrundgang durch Kreuzberg: Eingang Künstlerhaus Bethanien, 12 bzw. 10 DM