: Fürs täglich Brot schuftende Psychedeliker
■ Hawkwind sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren
Es ist scheußlich, daß man sein ganzes Leben arbeiten muß. Irgendwann haben ein paar Jungs damit angefangen; aus Neigung sicherlich, und um der jungen Zeit, die um sie herum sich so aufregend bewegte, eine Linie zu geben, an der sich ein jeder festhalten konnte, der — drogengeschüttelt — immer noch fröhlich und guter Dinge sein wollte. Haltepunkte, klare Linien waren gefragt, wenn der Ichverlust auf dem ersten oder zweiten LSD-Trip drohte. Bands wie »Ashra Temple, feat. Timothy Leary« begleiteten verwirrte Drogenesser mit weihevollen Worten auf ihrer regressiven Reise in die Geheimnisse des Universums; andere, wie »Hawkwind«, lieferten — mehr oder minder metaphorisch — Metall oder glitzerndes Silber, in dem sich der Drogenuser spiegeln konnte.
Hawkwind, die Ende der 60er Jahre in der »arty« Kunstszene von West-London begannen, hatten 1972 einen Hit, von dem sie immer noch zehren. Im Bandinfo steht zwischen Silver Machine, das noch zu einer Zeit eingespielt wurde, als Motörheads Lemmy noch bei Hawkwind war, und der aktuellen LP nichts. Nichts, das sind ungefähr zwanzig Alben, und es ist schon ein bißchen traurig, wenn 19 Jahre so plötzlich verschwinden und die Band wie-sie-heute- aussieht, aus welchen Gründen auch immer, weder auf dem Cover noch im Bandinfo abgebildet ist. Musiker müssen jedoch wie jeder normale Mensch auch für die Renten- und Krankenversicherung arbeiten, und wie jeder arbeitende Mensch hatten sie ein bißchen Spaß, manchmal, aber doch vor allem sehr viel Müh- und Trübsal und würden sicher lieber heute als morgen aufhören und machen sich wahrscheinlich inzwischen gar nicht mehr lustig über andere Arbeitermusiker, wie Sweet, Slade, Gary Glitter und die Puhdys, die sich im letzten Jahr selber zunächst abwickeln durften, in diesem Jahr jedoch auch wieder ran mußten, um alte Hits neu einzuspielen. (Noch einmal: »Vorn ist das Licht/ du kannst es sehen/ vorn ist das Licht/ beim Vorwärtsgehen!«)
Und dann erinnern sie sich doch; und wollen es immer wieder wissen. Also imitieren sie sich selbst, zwischen archaischen Bildern — viele Tiere bevölkern den Weltraum — ein bißchen Lärm, und viel Spacesynthesizersound, der mehr oder weniger angestrengt sich mit frühen Pink Floyds, King Crimsons, ein wenig sogar mit »Voivod« verbinden will. Geschlechtslose Stimmen erheben sich aus dem Getöse; tausend Breaks suchen erhaben einander zu imponieren, selbst ein paar Reggaerhythmen kommen vorbei und: »one day the signs flup, flicke, flicke, flicke, fluck.«
Unter dem Motto »Stop the madness« warnt Hawkwind alle Freunde ihrer Musik vor Drogen: »Drugs are no fun. There are better things to do.« Ist die Band, die immer ein recht präziser Drogenspiegel ihrer Zeit war, zum New-Age-Idiotismus regrediert? Die Lyrics scheinen das zu bestätigen. Draußen sind: die böse Gesellschaft, »closed minded fascists«, die Regierungen und alle haben nichts Besseres zu tun, den Geist von »Freiheit, Tanzlust, Musik und Kunst« in unseren armen, sauberen Erste-Welt-Freizeitherzen zu zerstören. Auch die Adresse des »Hawkfan Space College« auf der neuen Hawkwind-LP gibt eigentlich zu schlimmsten Befürchtungen Anlaß. In der Wirklichkeit oder auf der Bühne wird jedoch alles ganz anders und vor allem sehr bunt sein, und wenn man sich das Anti-Drogen- Logo auf dem Cover genauer anschaut, erkennt man, daß die unverwüstlichen Psychedeliker lediglich etwas gegen »hard drugs« haben. Weiche Drogen also sind angesagt.
Im Vorprogramm kommen die Freunde von Irgendwas und Anyway — auch die von schmeichelndem Folk — bei »Gypsy Kyss« auf ihre Kosten. Die Oldendorfer Band, die vor allem irgendwie klingt, streitet übrigens mit kraftvoller Gymnasiastenlyrik für Romantik, Liebe und gegen Krieg! Detlef Kuhlbrodt
Am Samstag, den 5.10. um 22 Uhr im H & M
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