König im pissegelben Schrank

■ Katja Paryla inszeniert Shakespeares »Heinrich VI.« in den DT-Kammerspielen

Es fing an wie ein großer Theaterabend: Eine Gruppe Lords in langen schwarzen Mänteln trägt Heinrich V. zu Grabe. Mehrmals unterbrechen Boten das Zeremoniell, bringen schlechte Nachrichten vom französischen Kriegsschauplatz. Einen nach dem anderen erstechen die Pears, mit vereinten Kräften, grunzend, ohne die bandagierte Leiche abzusetzen. Oder: Bevor noch der König beerdigt werden konnte, setzt einer an zur Begründung seines Anspruchs — aber er bringt seine äußerst umfangreiche Ahnenreihe nicht zu Ende: Zwei Lords, denen die Geschichte (wie dem Publikum) zu lang und wirr geworden ist, führen den Faselnden kurzerhand ab.

Solche Shakespeare teils klug vergegenwärtigenden, teils witzig aufbrechenden Einfälle sind leider selten in Katja Parylas Inszenierung. Weit häufiger wird getobt und geblökt, findet statt Rollengestaltung nur ratlose Kraftmeierei statt. Manche Geschichten, die gerade in einer Kurzversion der riesigen Heinrich-VI.- Trilogie dramaturgisch entscheidend wären, sind gestrichen oder werden von der Inszenierung ignoriert: Die Beziehung zwischen dem machtgierigen Intriganten Suffolk und der von ihm zur Königin gemachten Margareta kommt bei Katja Paryla nur als anfängliches Geturtel und bitterer Monolog im Scheitern der Suffolkschen Pläne vor — die große Liebesgeschichte, die sich bei Shakespeare dazwischen ereignet, findet hier nicht statt. Merkwürdig übrigens auch, daß die Regie Suffolks Werbungsszene ohne Not ruiniert: Was er bei Shakespeare a parte spricht — spannungsreich den Zuschauer einbeziehend und die Umworbene ausschließend — läßt Paryla den Suffolk-Darsteller Uwe Dag Berlin seiner Angebeteten ins Gesicht sagen. Die weiß damit wohl auch nichts Rechtes anzufangen und lächelt nur blöde. Oder: Daß Richard III. den schwachen, kindlichen König Heinrich VI am Ende beerbt, weil er der blutgierigste, der wildeste und hemmungsloseste aller Bewerber ist, versteht in dieser Inszenierung niemand — hier scheint Richard der zufällige Sieger eines wüsten Kreuz-und-quer-Schlachtens zu sein. Das Schlachten ist überhaupt nicht die Sache dieser Regisseurin: Alle Kampf- und Tötungsszenen sind ziemlich läppisch geraten, wollen wohl gelegentlich komisch sein und geraten doch eher lächerlich. Gelegentlich gibt die Inszenierung sich dann gänzlich überflüssigen Blödheiten hin: Zwei Jäger — nebenbei weit unwichtigere Figuren als viele, die gestrichen wurden — reden breites Bayrisch bzw. Österreichisch, ohne jeden Grund und ohne Witz. Daß Shakespeares Tragödien und Königsdramen mit solchen Mätzchen nicht zu machen sind, sollte sich spätestens seit Katharina Thalbachs »Macbeth« herumgesprochen haben.

Man wäre nicht im Deutschen Theater, wenn nicht auch diese Inszenierung ihre Stärke hätte; denn in diesem Haus kann man Schauspieler hören und sehen, die flüsternd mühelos die letzte Reihe erreichen. Der Star dieser Inszenierung ist Udo Kroschwald als König Heinrich VI; er beginnt als Trottel, der immer ein Stück hinter dem Geschehen herhinkt, der übereifrig versucht, das jeweils zur Situation passende Gesicht zu machen, der seine Weltfremdheit und Begriffsstutzigkeit mit den schönsten Double- Takes und anderen Slapsticktechniken verrät. Nach der Pause, wenn es auch mit diesem König zu Ende geht, wird Heinrich zur tragischen Figur, zum letzten Moralisten vielleicht inmitten von Verrätern und Schlächtern - das allerdings ist wieder nur zu ahnen und wäre mit einem so fabelhaften Schauspieler wie Kroschwald weit besser zu inszenieren gewesen. Der Protagonist spielt den großen Bogen, vom Anfang bis zum Ende der blutigen Geschichte; die Inszenierung findet nur Bruchstücke zu Shakespeare und versucht sich teils mit amüsanten Mätzchen — ein Trupp echte Dudelsackbläser —, teils mit lästigen Effekten wie Trockennebel und Geräuschterror über die Runden zu retten.

Wer Shakespeares Heinrich VI. nicht kennt, mag sich diese dreistündige Digest-Version antun; die durchweg gute bis brillante Schauspielerei und die wunderbaren Texte in der Schlegel-Übersetzung machen einige Inkompetenz der Inszenierung wett. Kein Kraut gewachsen ist allerdings gegen das pissegelbe und purpurrote, wie ein riesiger falsch zusammengebauter Ikea-Schrank aussehende Bühnenbild. Das ist wirklich schauspielerfeindlich, ekelhaft häßlich und äußerst unoriginell dazu. Klaus Nothnagel