piwik no script img

Konrad Z., Charakterhandwerker

Ein ganz normales Leben, wie es halt keiner haben möcht'/ Eine Ausstellung in Kassel  ■ Von Gertrud Salm

Konrad Z., hieß zu Lebzeiten Konrad Zick und muß, darf man den mitausgestellten Fotografien glauben, ein angenehmer Mensch gewesen sein. Im Kaiserreich als Bauernsohn aufgewachsen, lernt er in der engen Bank der überfüllten Dorfschulklasse neben Rechnen und Schreiben auch, wie mild und gütig der Kaiser und die Kaiserin sind. Die bleichen Gipsbüsten der Potentaten sind denn auch immer dabei, wenn er sich in den grundlegenden Techniken der Zivilisation einübt. Auf den neuesten Stand der Technik aber wird er als Lehrbub' in Frankfurt gebracht. Er darf 54 Stunden pro Woche elektronische Kleinteile herstellen und sich hinterher Mechaniker-Gehilfe nennen. Ein zukunftsträchtiger Beruf. Sein Rüstzeug fürs Leben kann er 1905 gleich in den Rüstungsbetrieb Hahn (Kassel) einbringen, beim Bau von Entfernungsmessern für die kaiserliche Marine und von zivilen Kinoprojektoren. Der Betrieb verlegte sich übrigens nach dem '14/'18-Desaster dann doch lieber auf die Entwicklung von Sicherheitsschlössern. Sicher ist sicher.

Das ist auch die Zeit der sich rasant entwickelnden Werbung. Olivetti beispielsweise leistet sich echte Künstler, die eine Schreibmaschine zum himmlischen Werkzeug stilisieren. Die Firma Hahn hebt ihr neues Produkt ebenfalls in den Himmel. Dahin, wo sonst normalerweise Maria mit dem Jesuskind thront. Das leuchtet einem alten Christenmenschen doch ein: „Oh Heiland, schließ den Himmel auf.“ Auch die Firma Robert Bosch (Stuttgart), die Konrad Z. als Wandergeselle angesteuert hatte, wirbt mit hohem Kulturgut für technische Neuerung. Ihre damals sensationellen Zündkerzen für einen neuentwickelten Hochspannungs- Magnetzünder werden vom teuflisch dreinblickenden Mephisto angepriesen.

Der technikbegeisterte Konrad Z. jedenfalls läßt fast nichts aus, weder das Fotografieren, noch Graf Zeppelins freischwebenden Phallus; Jahre danach setzt er den ersten Bausatz für einen Detektor-Empfänger zusammen und hat den ersten elektrischen Türöffner. Nur Fortbewegungsmittel will er keine, weder Fahrrad noch Motorrad noch Auto. Er geht zu Fuß. Trotzdem hegt er 1911 die Überzeugung, daß die technischen Errungenschaften „die Lebensbedingungen der Menschen auf eine nie gekannte Weise verbessern können“ (Katalog). Drei Jahre später wird er erleben, wie sie sich in nie gekannter Weise verschlechtern. Eine französische Kugel bleibt in seinem linken Fuß stecken und bewahrt ihn vor radikaleren Technikfolgen. Während beider Weltkriege arbeitet Konrad Z. in der Rüstungsproduktion, zwischendurch aber sieht es schlecht für ihn aus: zwei Kinder und ein Haus im Rohbau, die Frau bringt die Familie mit einem Bügelbetrieb über die Runden und wird krank. Sie leben von der „Wohlfahrt“. Nach vier Jahren und acht Monaten Arbeitslosigkeit fängt er bei der Firma Fieseler an: Flugzeugbau, kriegswichtige Produktion, Entwicklung der V1, Fertigung von Me-109-Jagdflugzeugen; nationalsozialistischer Musterbetrieb. Drei Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner wird er im März 1945 wieder arbeitslos. Das bestätigt ihm mehr als fünf Monate nach der Gesamtkapitulation das Entlassungszeugnis. Darin werden als Tugenden, die er „zur vollsten Zufriedenheit“ einsetzte, Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit hervorgehoben. Der Entlassungsgrund überrascht nicht: „Herr Zick scheidet wie alle übrigen Gefolgschaftsmitglieder (!) infolge kriegsbedingter Verhältnisse im Rahmen unserer Stillegung... aus unseren Diensten.“ Gute Rüstungsgefolgsschaftsmitglieder werden später wieder gute Chancen haben, ihr Handwerk auszuüben. Konrad Z. allerdings nicht.

(Übrigens zeigten die Kassler NS- Techniker schon vor dem Krieg eine spezielle Art von Humor. 1933 wollten sie in einer Flugschau mit dem Titel „Bomben auf Kassel“ die Schlagkraft des deutschen Flugwesens demonstrieren. Laut 'Kassler Post‘ sollte die nachgebaute Stadt „unter den Bomben verenden“. Die Pappmaché-Kulisse wurde aber durch Regen derart aufgeweicht, daß sie zum Bombardieren nicht mehr taugte. Zehn Jahre danach konnte der Bürger das Schauspiel live erleben, mit 10.000 Toten und einer echten Zerstörung der Altstadt.)

Konrad Z. überlebt den Krieg, arbeitet hier und dort und erfährt 1952, am Ende seines offiziellen Arbeitslebens, daß er 123,30 DM Rente beziehen wird. Daraufhin arbeitet er bis zu seinem 71sten Lebensjahr in der Serienproduktion von Feldstechern. Nur in die Ferne schaut er nicht gerne. Obwohl seit 1952 schon täglich Fernsehprogramme ausgestrahlt werden, schafft er sich keinen Apparat an. Anscheinend hört für ihn mit fortschreitendem Alter die Faszination neuer Techniken auf. Er hängt am Radio. Vielleicht auch an der Zeit, als er sonntags in der Früh mit Frau und Söhnen im Bett lag und sie zusammen über Kopfhörer Hamburger Hafenkonzerte hörten. Manchmal schaut er sich bei seinem Sohn Natur- und Reisefilme an. Sonst bastelt er hauptsächlich an Haus und Garten.

Konrad Z., der Fotograf

Schon 1905, als 19jähriger, ist er Besitzer einer Plattenkamera Marke Ica-Nelson, eines technisch gut ausgestatteten, teuren Modells; für diese Zeit eine sensationelle Neuanschaffung. Er probt acht Jahre lang. Die technischen Verläufe und Ergebnisse protokolliert er genau in seinem „Negativheft“, bis er mit den Resultaten zufrieden ist. Seine Fotos sind tatsächlich technisch sehr versiert, die Motive sehr gebräuchlich.

Er fotografiert Freunde, Verwandte, seine Familie und besonders gerne sich selbst. Dafür baut er sich einen Selbstauslöser mit Zündschnur und Gummiring. Zu sehen ist: Konrad Z. am Klavier, Konrad Z. mit Eltern, Konrad Z. mit Arbeitskollegen, Konrad Z. bei der Gletscherwanderung, Konrad Z. in der Hängematte, Konrad Z. mit Familie, sein Haus, sein Weib, seine Kinder. Die Darstellungsform der Berufsfotografie mischt sich mit den intimeren Formen der Privatfotografie. Da gerät öfters etwas durcheinander. Konrad Z. verschafft sich beispielsweise auf seinen Fotos fast immer einen würdevollen Ausdruck. Nur ein Exemplar aus dem Jahre 1919 fällt aus dem Rahmen. Es ist das Verlobungsfoto von Konrad und seiner zukünftigen Marie, im Elternhaus der Braut.

Drei Jungfrauen sitzen in ihren weißen Blusen mit gefalteten Händen im Schoß, mit der Sippe im Hintergrund. Konrad Z. hat seine Hand leicht um den Unterarm seiner Braut gelegt. Sie öffnet ihre gefalteten Hände ein wenig, wie mir scheint: nicht sehr bereitwillig. Alle schauen weg, auch Konrad Z., der gewöhnlich geradeaus in die Kamera blickt. Es wird wohl die erste Tochter dieser Familie gewesen sein, die einem Manne anhing. Sie waren noch nicht geübt in der Präsentation von intimen Dingen und selbst die Alten zeigen eine fast kindliche Scheu. Dieses Bild hat etwas Alptraumhaftes und zugleich Zärtliches. Die nächste Verlobung im Kreise der Familie kippt dafür völlig um. Die Runde grimassiert fröhlich vor sich hin, und alle Ordnung ist verloren (Abb.3). Das fotografierende Familienmitglied Konrad hat sämtliche Situationen inszeniert. Zwar wären bei seiner Kamera kurze Verschlußzeiten möglich gewesen. Die geringe Filmempfindlichkeit läßt jedoch keine Schnappschüsse zu. Jedes Foto ist teuer und eine Rarität, vier bis fünf davon werden im Jahr gemacht. Sie sind ebenso gefragt wie der Fotograf. Auch was unfreiwillig dabei herauskommt, bleibt erhalten, und auch daraus kann man gut lesen.

Konrad Z. belichtet bis zum Einmarsch der Amerikaner. Die entwenden seine unter Kohlen versteckte Kamera. Danach faßt er keinen dieser Apparate mehr an.

Konrad Z., der Abgebildete

Bei Konrad Z. kann man studieren, wie sich die Physiognomie im Laufe der Zeit verändert. Vom schlanken, ranken, jungen zum seltsam rundlichen, alten Mann. Und man kann sehen, wie einer gleich bleibt, während die Umgebung sich völlig verändert.

1890 schaut der kleine, gestiefelte Konrad wehrhaft in die Kamera. Auf dem Klassenfoto 1891 reißen 65 Kinder erschreckt, gebannt die Augen auf, während er die Brauen zusammenzieht. Zehn Jahre später zeigt er vor dem Objektiv steife Würde, dieselbe, die alle anderen in der deutschen Kaiserzeit auch zeigen. Lauter bürgerliche Adlige. Größere Gruppen — ob mit Männern oder Frauen — werden nach einem militärischen Grundmuster aufgestellt. Vorne, wie auf den Reservistenbildern, liegen ein bis zwei Männer schräg. Bei solchen Gruppenabbildungen bleibt Konrad Z. am Rande und schaut besonders fremd. Bis 1914, bei Wanderungen mit den Naturfreunden oder seiner Fahrt mit den Deutschen Metallarbeitern nach Mailand (wo er den Redakteur der sozialistischen Parteizetiung 'Avanti‘, Benito Mussolini hört), wirft er sich noch in aufstrebend optimistische Positur. Nach seiner Verwundung scheint er dann zurückgezogen, wie gedämpft. Trotz Langzeitarbeitslosigkeit und Geldmangel läßt er sich aber nicht nehmen, mit Hut, Krawatte und stramm ums Bäuchlein sitzendem Mantel vor der Kamera zu posieren. Das wohl fremdeste Foto zeigt ihn im Alter von 68 Jahren bei einem Betriebsausflug (Abb. 5). Während die Belegschaftsmitglieder äußerst korrekt fröhlich eingehakt sind, steht er — in seinem schwarzen Anzug nicht ohne Würde — wie Falschgeld daneben. Völlig aus der Zeit. Marie Zick aber, die noch im Schleier und Myrtenkranz etwas verhalten an ihrem frischen Ehemann lehnt, macht es gerade umgekehrt. Neun Jahre nach der Hochzeit steht sie mit Säugling und Kleinkind breitbeinig keck vor ihrem Eigenheim, schaut freundlich offen und ist sehr schön, was auch so bleiben wird.

Schließlich: Konrad Z.

Er ist ein Charakterhandwerker. Einer von den Rechtschaffenen, der seine Kunst beherrscht und hochschätzt. Keineswegs konservativ, beschäftigt er sich beruflich und privat mit den modernsten technischen Entwicklungen und ist fasziniert vom Gegenstand seiner Arbeit. Das ist für mich verständlich, wenn ich mir die Produkte seiner Zeit anschaue. Ob Filmvorführgerät, Entfernungsmesser oder Kartoffelschäler, alles scheint klug durchdacht, präzise ausgeführt, und ist obendrein schön fürs Auge (Abb. 6). Sie erinnern an den Bau und die eigenartigen

Fortsetzung nächste Seite

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen