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Das Ausland schaut vorerst nur auf die Bodenschätze

■ Auf Albaniens Weg in die Marktwirtschaft nimmt die Regierung einen extremen Einfluß transnationaler Konzerne und hohe soziale Kosten in Kauf

Tirana (afp) — Für Albaniens Wirtschaft hat die Stunde Null geschlagen: Das alte kommunistische System ist zusammengebrochen, die marktwirtschaftlichen Reformen greifen noch nicht. Die im Juni gebildete Koalitionsregierung versucht mit aller Kraft, das Land in Richtung Marktwirtschaft zu treiben, und nimmt dabei extrem starken ausländischen Einfluß und hohe soziale Kosten in Kauf. Doch die immer noch auf allen Ebenen dominierenden Stalinisten bremsen die Umwälzungen bis hin zur Sabotage. So ist es mehr als fragwürdig, ob die Regierung ihren ehrgeizigen Zeitplan zum Übergang in den Kapitalismus einhalten kann. Die Landreform beispielsweise, die bis Mitte Oktober abgeschlossen werden sollte, hat gerade erst begonnen.

Fast aussichtlos erscheint es außerdem, mit der bislang auf 210 Millionen Dollar Unterstützung aus dem Ausland einen weiteren Massenexodus der hoffnungslosen Jugend zu verhindern. Gleichzeitig soll mit dem Geld aus dem Ausland die in einigen Gebieten drohenden Hungersnöte verhindert werden. Derzeit haben zahlreiche Fabriken ihre Tore geschlossen. Die Betriebsführungen warten auf die Entscheidung, ob ihre Fabrik privatisiert oder mangels Rentabilität stillgelegt werden soll. Die Mehrheit der Arbeiter erhält 80 Prozent des Lohnes dafür, daß sie zu Hause bleibt.

Wirtschaftsminister Gramoz Pashko von der Demokratischen Partei profiliert sich als Hauptakteur eines schnellen Übergangs zur Marktwirtschaft. Der Minister ist sich voll bewußt, daß die ersten sechs bis acht Monate des kommenden Jahres extrem hart für die Bevölkerung werden. Experten rechnen in dem Land mit seinen rund drei Millionen Einwohnern mit 250.000 Arbeitslosen. Nach Ansicht Paschkos kann das Land jedoch nur durch gleichzeitige tiefgreifende Reformen und massive Hilfe von außen gerettet werden. Westliche Ökonomen sollen Pläne für die Privatisierung der Industrie mit ausarbeiten. US-Experten und Mitglieder des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind bereits eingetroffen und arbeiten in Tirana an einem neuen Steuersystem.

Der Zeitplan der Reformen ist beeindruckend: Bis Ende nächsten Jahres sollen 25.000 kollektive Kleinbetriebe, meist aus Einzelhandel und Gastgewerbe, versteigert werden. Aber wer soll sie kaufen? Gegen jeden Augenschein zeigt sich Paschko überzeugt davon, daß in dem Armenhaus Europas „genug Geld für diese Investitionen zirkuliert“.

Im kommenden Jahr soll für alle kollektiven Großbetriebe, auch im Agrarbereich, die Stunde schlagen. Die unrentablen sollen endgültig geschlossen und die übrigen dank ausländischen Kapitals in Form von Joint-ventures weiterbetrieben werden. Derzeit können ausländische Investoren theoretisch ihr Kapital frei in Albanien unterbringen und ihre Profite aus dem Land abführen. Die albanische Regierung gesteht jedoch ein, daß dabei Schwierigkeiten entstehen könnten, da die Währung Lev nicht voll konvertibel ist.

Die albanische Regierung hat bereits an zahlreiche ausländische Firmen Bohrkonzessionen vor der Küste vergeben: Unter den Konzessionären sind die US-Unternehmen Occidental Petrol, Chevron, Hamilton, die italienische Agip und die Deminex aus Essen. Unternehmen aus Deutschland, Belgien und Südafrika sollen in Zukunft die Ausbeutung der Bodenschätze, vor allem Braunkohle, Chrom, Kupfer und Nickel, übernehmen. Die Verträge sind allerdings noch nicht abgeschlossen.

Die Stabilität der Regierung in Tirana hängt jedoch vor allem von der Entwicklung auf dem Land ab, wo 65 Prozent der Bevölkerung lebt. Die Umverteilung der Ländereien der kollektiven Betriebe, denen rund 75 Prozent der Anbauflächen gehört, hat gerade erst begonnen: Vor wenigen Tage erhielten die ersten 15 Familien jeweils vier Hektar Land in einem Dorf als Geschenk des Staates. Nach Monaten der Vorbereitung, in denen es wiederholt zu Unruhen mit mehreren Toten kam, wird damit endlich die Landreform umgesetzt. Verteilt wird das Land an die Bauern vor Ort.

Der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, Sali Metani, betonte, daß die Koalitionsregierung die Bauern ermutigen wolle, Genossenschaften „nach westlichen Vorbild“ zu gründen. Die Bauern sollten ihre Produkte selbst auswählen, das Getreide werde allerdings subventioniert — wie im Westen.

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