: Brandenburg, „andere Republik“?
In dem Bundesland mit Ampelkoalition rücken CDU und FDP von dem Allparteienentwurf einer fortschrittlichen Landesverfassung wieder ab ■ Aus Potsdam Michael Rediske
Ob eine neue gesamtdeutsche Verfassung je über radikaldemokratische Diskussionszirkel und Lobbyarbeit hinauskommen wird, steht noch in den Sternen. Schließlich braucht sich die politische Klasse in Bonn nach dem „Beitritt“ der DDR zum Grundgesetz auf nichts mehr einzulassen.
Bräuchte — denn es gibt da noch die neuen Länder, wo neue Verfassungen verabschiedet werden müssen. Und unter ihnen ist es das von einer Ampelkoalition regierte Brandenburg, das konservative Verfassungsjuristen und -politiker besonders in Rage bringt. Dort hat ein vom Landtag berufener Verfassungsausschuß im Mai fast einstimmig einen Entwurf vorgelegt, der überhaupt nicht ins traditionelle Schema paßt: Von der „Schutzbedürftigkeit anderer, auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften“ als der Ehe reichen die roten (oder eher: grünen) Tücher über einen „Ökosenat“, der über Gesetze mitreden soll, bis hin zur Verbandsklage gegen Umweltsünder. Solcherlei provozierte im Juli den schon in der politischen Versenkung geglaubten Rainer Barzel (CDU) zu neuen Höhenflügen. Sein zorniger Artikel im 'Bonner Generalanzeiger‘ gipfelte in dem Satz: „Dieser Entwurf markiert den Weg in die andere Republik.“ Was die brandenburgische CDU aufschreckte, die das Dokument — obgleich in der Opposition — mit verabschiedet hatte. Eine andere Republik, die wollte sie nun doch nicht, und beauftragte ein Rechtsgutachten bei dem Kohl-Freund (und ehemaligen Verteidigungsminister) Professor Rupert Scholz. Der befand erwartungsgemäß, eine Fülle von Artikeln sei „verfassungswidrig“.
Geht es nach der CDU-Fraktion, dann sollen Sätze wie der Verzicht auf einen brandenburgischen Geheimdienst, das Aussperrungsverbot oder die „Schutzbedürftigkeit“ nichtehelicher Lebensgemeinschaften aus dem Text gestrichen werden. Pressesprecher Thomas Roloff: Einer Gleichbehandlung solcher „fragwürdigen Lebensgemeinschaften“ könne doch „auch ein ordentlicher Sozialdemokrat“ nicht zustimmen. Die Frage ist: Warum haben die CDUler im Verfassungsausschuß dann zugestimmt, daß eine derartige Häufung „grundgesetzwidriger“ Artikel im Gesetz- und Verordnungsblatt abgedruckt wurde? Warum hat der Landtagspräsident darum gebeten, „sich rege an der Diskussion zu beteiligen“?
Bis zum 15. September konnte jedermann und jede Frau den Entwurf kommentieren. Der Potsdamer Verfassungsausschuß sichtet die rund 330 Zuschriften und wird dann Artikel für Artikel erneut debattieren, bevor Anfang November die erste Lesung im Landtags ansteht. Entscheidend werden dann allerdings weniger die Stellungnahmen vom Deutschen Roten Kreuz oder dem Sportclub Cottbus sein — sondern wieder die Positionen der Parteien.
Auf Stimmen der CDU könnte die Reformkoalition der Brandenburger notfalls noch verzichten: mit stiller Hilfe der PDS bekäme sie auch ohne Christdemokraten eine knappe Zweidrittelmehrheit hin. Eine größere Hürde ist da schon die brandenburgische FDP. Sie wird zwar kaum der CDU bei deren Wunsch folgen, Religionsunterricht doch noch zum „ordentlichen Lehrfach“ an den Schulen zu machen. Insgesamt, so sagt Alfred Pracht, der für die FDP im Verfassungsausschuß sitzt, sei die Vorlage „modern und brauchbar“. Aber einige Dinge gehen seiner Fraktion denn doch zu weit. An erster Stelle natürlich das vorgesehene Aussperrungsverbot für nicht—bestreikte Betriebe. Und dann kommt der FDP zu oft die Ökologie vor der Ökonomie: Wie die CDU, so will auch sie die Möglichkeit, daß Verbände gegen Umweltsünder klagen können, wieder streichen. Genauso wie den Satz „Jeder hat das Recht auf Offenlegung der Daten über die Beschaffenheit der natürlichen Lebensgrundlagen seines Lebenskreises“.
Auch von plebiszitären Neuerungen sind die Liberalen nicht gerade begeistert. Bündnis 90 und SPD hatten mit einem Minderheitenvotum zwei Gremien vorgeschlagen, um die Gesetzesarbeit zu dezentralisieren: einen „Ökologischen Senat“, von Landtag und Kreistagen gewählt, der alle Gesetzesvorlagen kommentieren und selber Anträge ins Parlament bringen kann; und eine „Kommunalkammer“ mit entsprechenden Kompetenzen. Die CDU hält das für „grundgesetzwidrig“ (Roloff), die FDP bemängelt, hier würden Beratung durch Sachkompetenz einerseits und Entscheidung durch gewählte Abgeordnete nicht sauber getrennt (Pracht). SPDler haben dagegen auf ihren Veranstaltungen festgestellt, daß eine zweite, dezentrale Parlamentskammer recht populär wäre. Offenbar verspricht man sich davon mehr unmittelbaren Einfluß auf die Parlamentsarbeit. Genau darauf zielt auch die Einführung von „Volksinitiativen“ und „Volksbegehren“ im Verfassungsentwurf. 20.000 Wahlberechtigte (von insgesamt knapp 2 Millionen) könnten dann den Landtag zwingen, sich mit einem Gesetzesvorschlag zu beschäftigen, 80.000 WählerInnen würden ausreichen, ein „Volksbegehren“ herbeizuführen. Diese Quoren sind mittlerweile CDU wie FDP viel zu niedrig. Sie wollen, daß eine Volksinitiative von mindestens 5 (CDU) bzw. 10 Prozent der Stimmberechtigten (FDP) unterschrieben sein muß. Gerangel wird es auch um die Sperrklausel bei den Landtagswahlen geben. Bündnis 90 möchte am liebsten gar keine Prozenthürde. Der Mehrheitsvorschlag sieht demgegenüber „Sperrklauseln bis höchstens 3 Prozent“ im Wahlgesetz vor. Doch mittlerweile sind FDP wie CDU auf die in den Westländern üblichen 5 Prozent eingeschwenkt.
Wieviel wird am Ende von dem Projekt einer besonders bürgernahen Verfassung übrigbleiben? Henrik Poller, der für das Bündnis 90 mitgearbeitet hat, hofft, daß die Regierungskoalition in den meisten Punkten beieinander bleibt. Enttäuscht ist er aber schon jetzt von der „Scheinheiligkeit“ derjenigen, die dem Entwurf erst zugestimmt haben, um jetzt — nach der Befragung der Öffentlichkeit — die meisten neuen Ideen wieder zu kippen. Im Extremfall, so warnt er, könnten die WählerInnen, denen im Frühjahr die Verfassung noch vorgelegt werden muß, ja auch über zwei Entwürfe abstimmen.
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