: »Plattmachen« heißt die Devise
■ Zank und Streit um die deutsche Einheit/ Auf einer Diskussionsveranstaltug der Wochenzeitung 'Freitag‘ stritten sich die Podiumsgäste und das Publikum über die »kalte Gleichgültigkeit« des Westens und die Unzufriedenheit im Osten
Kreuzberg. Am vergangenen Freitag wurde der »Krach der Deutschen« fortgesetzt. An der Podiumsdiskussion in der ElefantenPress Galerie beteiligten sich Mathias Wedel, freischaffender Autor, der Journalist Udo Knapp, Fritz-Jochen Kopka, Mitarbeiter bei der 'Wochenpost‘, und die Westberliner Malerin Gisela Breitling.
Der Streit war bereits seit Mai 1991 in der Ost/West-Wochenzeitung 'Freitag‘ geführt worden. Es ging darum, daß Wedel sich über die kalte Gleichgültigkeit des Westens beschwert hatte, woraufhin Udo Knapp erwiderte, daß Wedel zusammen mit der Mauer und den verlorenen Hoffnungen auch den Verstand verliere. »Sie alle sollten doch froh sein, daß Sie diese Scheiß-DDR vom Halse haben.«
Udo Knapp bekräftigte seine Haltung, daß die DDR nicht von der BRD erobert wurde, sondern die DDR-Bürger selbst den Schritt nach Westen wollten. Die DDR müsse »abgeräumt« werden. Als Beispiel nannte Knapp Hoyerswerda und die jüngsten Ausschreitungen gegen Ausländer. »In so einer Atmosphäre der Plattenbauweise muß man ja zum Faschisten werden«, behauptete Knapp. Mathias Wedel konterte, daß er sechs Jahre in Marzahn gelebt habe und in sich nicht so ein »seltsames Rucken zum rechten politischen Rand« gespürt habe. Er sei mit Gisela Breitling der Meinung, daß es beim Krach der Deutschen eher um Verteilungskämpfe gehe.
Eine DDR-Bürgerin aus dem Publikum sagte, ihr werde speiübel, wenn sie Knapp reden höre. »Aber ich meine doch nicht Sie persönlich, sondern die DDR«, antwortete er. Andere Proteste aus dem Publikum wurden lauter. »Die Terminologie ‘abräumen‚ stimmt doch schon nicht«, rief jemand dazwischen. Fritz-Jochen Kopka fragte, ob Knapp sich freue, daß er jemanden unter sich habe. Die DDR plattmachen zu wollen sei ein idiotischer Neuanfang der Deutschen.
Die Diskussion war, je länger sie dauerte, von den Wortbeiträgen Udo Knapps bestimmt. Auch Einwände seitens Kopkas, daß Knapp zwar viel rede, aber auf keine Frage antworte, unterbrachen dessen Redefluß keineswegs. Auch das Publikum wurde emotionaler, ein Teilnehmer fragte Knapp vorwurfsvoll, ob er denn die vielen, mit Berufsverbot belegten KommunistInnen in der BRD vergessen habe, er leide wohl unter Gedächtnisschwund. Ein anderer aus dem Publikum beschwerte sich, daß er dieses »Gelabere« seit zehn Jahren kenne. Woraufhin sie sich kurzzeitig gegenseitig anbrüllten, bis einer der beiden mit »Halt' die Schnauze« das Intermezzo beendete.
Ein Mann aus dem Publikum bezeichnete Knapps Äußerungen als äußerst brutal und sagte, daß die selbstgemachte Demokratie in der Bundesrepublik nach der Wende kaputtgegangen sei. »Die Linke ist zersplittert.« Er empfinde die jetzige Situation als brutale Anschlußpolitik der BRD. Die Ostler hätten das Scheitern der DDR und des Realsozialismus nicht begriffen. Auch die heutige Diskussion sei nur hilfloses Gestammel, spiegele die Situation aber gut wider. Knapp betonte, daß es in der DDR nie eine funktionierende Opposition, wie beispielsweise in Polen und der Tschechoslowakei gegeben habe. Ganz zu schweigen von einer Demokratie.
Wedel überlegte dagegen, inwieweit man/frau in der BRD noch von Demokratie sprechen könne, wenn der Mitteldeutsche Rundfunk einfach abgewickelt werde. Weder das noch die steigenden Rundfunkgebühren scheinen die West- und Ostdeutschen zu stören.
Gisela Breitling sagte abschließend, kleine Gruppen hätten den Demokratieansatz mitbestimmt. Das müsse auch so sein, denn die Parteien könnten nicht mehr auf einem Wahlbogen die Lösungen der gesellschaftlichen Probleme formulieren. Sie meinte, die Menschen müßten Verständigung suchen und die rechts/ links-Polarisation aufheben. Knapp konnte es sich nicht verkneifen, Breitling das Schlußwort abzunehmen. Die Diskussion zeige, wie groß die Krise der Deutschen sei. Die linke Politik werde zu einer Sekte, wenn sie die Realitäten nicht akzeptiere. Er sei sicher, daß sich die Ostler schnell an bundesrepublikanischen Sitten anpassen werden. Susanne Landwehr
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