: Goldener Bär lockt Berliner aufs Glatteis
■ Den Berliner Wanderpokal im Eisstockschießen heimsten einmal mehr die Bayern ein — und das im Herzen von Wedding
Kreuzberg. Nur zwei Tage nachdem Kreuzberg Schauplatz der süddeutschen Meisterschaften im antirassistischen Scheibeneinschlagen war, richtete schon der nächste Bezirk, Wedding, ein sportliches Großereignis aus. 26 Mannschaften nahmen am Kampf um den Wanderpokal »Goldener Bär« teil, da weiß der an sportlichen Delikatessen Interessierte sofort: Es geht ums Eisstockschießen.
Diese wunderbare Sportart hat eine lange Tradition in den Wintersportgebieten, erklärt Veranstalter Herr Peters, das bewiesen allein schon die Gemälde flämischer Meister, die immer wieder das muntere Eisstock-Völkchen zum Thema hätten.
Aber auch heute noch ist dieser so kraftvoll-bäuerliche Sport, gottlob, auf dem Lande ein Spaß für jung und alt. Schwupps, wie lustig da der sechs Kilo schwere Eisstock gegen den des Rivalen fliegt und ihn wie beim Murmelspiel ganz weit weg schiebt und hei! wie sich da der Gegner ärgert und sich seine Mannschaft sputet, um unter den 12 verschiedenen Belägen den richtigen auszuwählen, dem Widersacher einen Schabernack zu spielen — fürwahr, es herrscht ein munteres Treiben auf dem Eise!
Aber würde es gelingen, diese wundervolle Atmosphäre, wenigstens einen Hauch dieses idyllischen Dorflebens in die kalte, anonyme, oft so unmenschliche Großstadt hineinzutragen, fragte mancher angstvoll. Seine Sorge war natürlich unbegründet. Mancher Berliner mag sogar ob des unverbrauchten Charmes, der natürlich-urwüchsigen Herzensbildung der 19 Mannschaften aus Bayern und Österreich sehr nachdenklich geworden sein...
Denn trotz des sportlichen Wettstreites war da immer noch Zeit für so manches Scherzwort und manchen Streich. So locker präsentierten sich die Alpenländler, daß man staunen mochte, und flugs verrieten sie den Grund: Weib und Kind waren zu Hause geblieben, damit der sonst so hart arbeitende Ernährer einmal so richtig ausspannen konnte.
Aber sie machten nicht nur viele Scherze, sie verstanden auch ihrerseits durchaus einmal einen Spaß: Als sich der Herr Sponsor über den JournalistInnen-Schreibblock beugte und scherzhaft-drohend fragte: »Ja, was schreiben wir denn da?« und die schelmische Antwort erhielt: »Das geht Sie einen Scheißdreck an!« — da stutzte er nur ein ganz kleines bißchen, bevor sich sein grundgütiges Gesicht zu einem herzhaften Lächeln verzog... — Und ganz selbstverständlich wurden auch wir in die Gemeinschaft aufgenommen, wurde mit uns, dem taz-Fotografen (»Wos tuast denn nachad mit dera Frau?«) und der Berichterstatterin (»Aber wenn dei Freind nimmer können tät, datst mi scho nehma?«) gesprochen wie von gleich zu gleich — nein, diese Menschen kannten keine Schranke...
Ach, wer da hätte dabei sein dürfen! wird jetzt mancher Leser sehnsüchtig aufseufzen. — Ihm kann Mut zugerufen werden! Am 30. November spielt die Eisstockschießer-Bundesliga-Ost in der Stadt!!!
Denn auch unsere so lange geknechteten Brüder aus dem ehemaligen »Drüben« dürfen jetzt dabei sein, bei der Jagd auf die Krone im Eisstockschießen — war es doch von jeher ihr glühender Wunsch, diesen Sport nunmehr in Freiheit ausüben zu dürfen...
Und um ein Zeichen zu setzen und die immer unzufriedenen Nörgler (und Stasi-Seilschaften) zu schamhaftem Verstummen zu bringen, hat unser Herr Innenminister den früher so furchtbar unterdrückten Eisschießern eine noble Unterstützung gewährt: 450 Westmark erhielt jeder, da blieb wohl manchem Sportsfreund im Osten die Stimme vor Rührung ganz einfach weg. Aber der Herr Innenminister wird wohl um die Freude dort gewußt haben...
Denn manchmal sagt ein dankbarer Blick wohl mehr als jede hohlklingende Dankesphrase — ja, sie hat sich gelohnt, unsere Revolution, werden sich die DDR-Eisschießer gedacht haben, und ihre Freude sollte auch die unsrige sein...
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