: „Ihr wollt ja nur die Kunstdenkmäler retten“
Der Kampf um Dubrovnik beherrscht das Interesse der Italiener, die Menschenopfer des Krieges zählen weniger/ Der Panzerabzug der „jugoslawischen“ Volksarmee über italienisches Gebiet löst Proteste in Triest aus ■ Von der Adria Werner Raith
„Schau dir nur dieses herrliche Spektakel an“, sagt Perseo, unser Pilot, „ein Jahrhundertwetter, und du siehst alles, aber auch alles. Im Logenplatz.“ Atmosphärisch gesprochen ist der Satz genau so richtig; inhaltlich hat er etwas Zynisches in sich: Die Sicht ist tatsächlich von einer Klarheit, wie sie nur in den Herbstwochen möglich ist. Doch was sich da am Horizont zeigt und mit den elektronischen Teleobjektiven der verwacklungsfreien elektronischen Kameras besser als mit jedem Fernrohr in unsere Kabine geholt wird, lädt ganz und gar nicht ein zu Reflexionen über das wunderschöne Wetter: Breitflächige Rauchschwaden auf der gegenüberliegenden adriatischen Seite sind an mindestens zwanzig Stellen zu erkennen, vor der Küste, unbeweglich und drohend, kleine Rechtecke, drei bis zehn Kilometer von den Häfen entfernt postiert: Kriegsschiffe. Wir können zwischen Bar im Süden und dem Inselwirrwarr von Split mehr als fünfzig Einzelsilhouetten erkennen, unbeweglich, drohend.
Ein markanter Kontrast zu dem, was wir unter uns beim Überfliegen des Monte Sant' Angelo hinaus aufs Meer gesehen haben: Hunderte, vielleicht Tausende kleiner Motorboote und ansehnlicher Yachten flitzen herum, größere Dampfer ziehen ihre Wellenkeile durch das Meer.
Auf der anderen Seite, entlang der dalmatischen Küste, entdeckt Geraldo mit seiner Kamera einige lange, dunkle Fäden: Panzer- und Militärkolonnen, auch sie jedoch unbeweglich. An ihren Seiten gehen ab und zu Rauchwolken hoch, niedlich anzusehen, aus der Nähe aber wohl die Folge meterdicker Feuerbälle. Die Cessna, mit der wir aufgestiegen sind, hat vom Tower die scharfe Anweisung bekommen, nicht weiter als 50 Meilen aufs Meer hinauszufliegen und sich streng an die Flughöhe von etwa 2.500 m zu halten. Die Annäherung an die dalmatische Küste um Dubrovnik wäre so auf gute 120 bis 100 km möglich. Tatsächlich nähern sich aber bereits wesentlich früher Jagdmaschinen und warnen per Funk vor dem Weiterfliegen — italienische Beobachtungsflieger, die hier alle paar Kilometer auftauchen, dazwischen auch US-amerikanische F104, dann auch einige F15, Bomber wohl. Im südöstlichen Adriameer, schätzungsweise zwischen Bari und Albanien, liegt ein Objekt, das der Größe nach nur ein Flugzeugträger sein kann — die Nationalität läßt sich nicht erkennen. Wir drehen etwas nach Norden, wo uns weniger militärischer Flugverkehr droht. Die Belagerungsringe auf dem Land sind, den aufsteigenden Rauchwolken nach zu beurteilen, tief gestaffelt, die logistischen Kolonnen lassen sich bis etwa Makarska, 150 Kilometer nördlich von Dubrovnik, ausmachen. Immerhin: Perseo gelingt es, mit weit ausgeflogenen Kurven an das Kriegsgebiet „von hinten“ heranzukommen, bis uns dann erneut italienische Jäger anfliegen. Wir drehen ab.
Kurz nach der Landung, noch im Flughafen, ein deprimierendes Gespräch: Eine Fußballmannschaft aus der Nähe von Zagreb, seit Wochen in Italien und unschlüssig, ob man heimkehren soll, will sehen, was wir gefilmt haben. Es erweist sich als nicht besonders aussagekräftig, die Crew meint, das Material sei nur im Notfall sendereif; Dubrovnik, das alte Ragusa, ist von Rauch völlig eingehüllt, er zieht sich wohl vor allem vom Flughafen her über die Stadt. Unerwartet hart die Reaktion der Fußballer: „Warum interessiert euch nur Dubrovnik? Seit wir hier sind, hören wir nur immer Ragusa. Steht die Zitadelle noch, hat's den Dom erwischt, ist das Dominikanerkloster unversehrt, der Rektorenpalast? Euch interessieren nur die Monumente, die Menschen sind euch scheißegal. Daß weiter nördlich und westlich genauso viel in Scherben geht, bemerkt ihr nicht einmal, und daß es dort Tausende von Toten gibt, auch nicht.“ Mihail, einer der Flügelstürmer, wird immer wütender: „Ihr sitzt hier auf euren fetten Ärschen, geht zum Baden und erzählt gruselig: Schau, da drüben knallt's; dann trinkt ihr euren Campari und widmet euch den Fußballnachrichten.“ Über die Frage, warum wir den Krieg vor der Haustür so sehr verdrängen, streiten sich mittlerweile die Gelehrten; die Reduktion der Angst zur Fürsorge um die „unersetzlichen Kunstschätze“ ist offenbar einer der einfachsten Fluchtwege aus der Nähe des Krieges.
Vier Stunden später landen wir nahe jenem Gebiet, wo derzeit wohl noch am ehesten die Einhaltung des xten Waffenstillstandes gewährleistet scheint: das nordwestliche Jugoslawien, Slowenien. Wir landen in Venedig, per Auto geht es weiter an die Grenze von Istrien. Bereits weit vor Triest Transparente: „Tutti insieme per Trieste“ — „Alle gemeinsam für Triest“, und „Niente convolglio sul nostro territorio“ — „Keine Militärkolonnen auf unserem Gebiet“. Die Nachricht, vom Staatspräsidenten bei einem Blitzbesuch am Freitag persönlich überbracht, wonach Panzer der Belgrader Zentralregierung über italienisches Hoheitsgebiet aus Slowenien herausgeführt und nach Bar verschifft werden sollen, hat die Triestiner in helle Aufregung versetzt.
Bürgermeister Ricchetti verbringt eine Nacht zwischen Fernsehstudios, Präfektur, Rathaus und dann wieder am Telefon mit Rom: Alle, ausnahmslos alle, politischen Kräfte halten jugoslawische Panzer „für eine Akt besonderer Instinktlosigkeit“, wie die „Lista per Trieste“ an den Piazza lautsprechert. Unvergessen ist bei vielen noch die grauenhaft brutale Besetzung der Staat durch die Truppen Titos im Zweiten Weltkrieg. Die Neofaschisten, aber nicht nur sie, haben große Demonstrationen angekündigt.
Dabei ist der Abzug der Panzer eine der Voraussetzungen für den Waffenstillstand auch anderwärts: Slowenien soll entmilitarisiert werden, die Panzer der Zentralregierung aber können nicht aus dem Landesteil heraus, weil sie da über kroatisches Territorium müßten, dort aber herrscht Krieg zwischen Kroatien und Serbien. Noch sind mehrere tausend Soldaten und einige hundert Panzer und Geschütze in Istrien stationiert. Belgrad will die Männer über eine Luftbrücke heimholen, die Waffen aber kann man nur über den Seeweg herausbringen, vom Triest nach Bar ganz im Südosten, fast an der albanischen Grenze. Dafür aber fehlt es an einem geeigneten Hafen und an Transportfahrzeugen.
Italiens Regierende halten sich an eine Empfehlung der EG und der WEU, den Abzug zu ermöglichen, doch „wenn das geschieht“, so ein Sprecher der „Lista per Trieste“, die aus Protest für mehrere Stunden das Rathaus von Triest besetzt hat, „wird das eine traumatische Reise für alle“. Generalstabschef Cannino hat angekündigt, er werde keine Sondermaßnahmen zum Schutz der Jugo-Panzer ergreifen. „Allora saranno nostri“ — rief die Menge vor dem Rathaus — „Dann gehören sie uns“.
Der Krieg, so scheint es, läßt sich eben doch nicht einfach mit Hilfe hehrer Sprüche über Kulturdenkmäler verdrängen.
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