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Explosion in Hanau — „Wie ein Geschoß flog der Stahldeckel durch die Luft“

■ Explosionsunglück in Hanau/ Wasserstofftank flog in die Luft/ Hausdächer abgedeckt/ Glasscherben überall/ Bahnhof nur knapp der Verwüstung entgangen/ Zum Glück ist das nicht an einem Arbeitstag passiert

Hanau (ap) — „Das war ein Knall, den werde ich nie vergessen. Ich hatte zum ersten Mal richtig Angst.“ Gerhard Reichhardt, Stadtbrandinspektor von Hanau, ist seit dem frühen Samstagmorgen im Einsatz, um die schweren Schäden der Wasserstoffexplosion in der Firma Heraeus Quarzschmelze zu sichten und einzudämmen. Vor der Eingangshalle des Hanauer Hauptbahnhofs hat sich eine halbe Tonne Stahl in den Boden gerammt. Wie ein riesiger Blumenkübel sieht der abgesprengte Deckel des Wasserstofftanks aus, der über 300 Meter hierher geschleudert worden ist. „Wie ein Geschoß flog der durch die Luft“, sagt Reichhardt.

Einige Schritte entfernt liegt ein zweiter Stahldeckel. Er wurde bei der Explosion am Samstag morgen um 5.12 Uhr durch mehrere Gitterzäune geschleudert, drückte zwei Autos platt, rasierte einen Baum halb ab und krachte schließlich auf den Fußgängerweg, den werktags Tausende Menschen auf dem Weg vom und zum Bahnhof benutzen. „Unvorstellbar, wenn es an einem Freitagmorgen passiert wäre“, sagt der Hanauer Oberbürgermeister Hans Martin. „Man kann nur von Glück reden, daß sich das Unglück nachts erreignet hat, als nur zwölf Beschäftigte auf dem Gelände waren“, meint auch der Geschäftsführer der Quarzschmelze, Gerhard Vilsmeier. So wurden nur drei Mitarbeiter und zwei Feuerwehrleute leicht verletzt. Tagsüber arbeiten in dem Spezialbetrieb je nach Schichtstärke 600 bis 700 Menschen.

Glück im Unglück hatte auch Rico Schneider: „Ich hatte wohl einen Schutzengel“, sagt der junge Mann aus dem Haus kaum 200 Meter von der Unglücksstelle entfernt. Um Zigaretten zu holen, war er am frühen Morgen aus dem Haus gegangen. „Als ich wiederkam, war in meinem Bett alles voller Glasscherben.“ Trotz zerbrochener Fensterscheiben und einiger „weggeflogener Türen“ kann er in seine Wohnung zurückkehren. Die 68 evakuierten Bewohner des Altenheims, ebenfalls in unmittelbarer Nähe des Werks, werden damit noch etwas warten müssen. Das Dach des Gebäudes wurde nach Angaben des zuständigen Architekten so schwer beschädigt, daß das Heim zunächst nicht bewohnbar ist.

Von der Feuerwehr war die Quarzschmelze als nicht besonders brand- oder explosionsgefährlich eingestuft worden. Seit 1982 war der Wasserstofftank in Betrieb und den TÜV-Vorschriften entsprechend alle fünf Jahre mit Ultraschall- und Röntgentechnik auf mögliche Risse der Schweißnähte überprüft worden, wie Vilsmeier erklärt. Im nächsten Jahr wäre die nächste Großüberprüfung fällig gewesen. Doch „laut Lieferfirma sind solche Druckbehälter 50 Jahre in Benutzung“. Aufgestellt, gewartet und gefüllt wurde der Tank von der Frankfurter Messer Griesheim, der „größten Firma für technische Gase“ in Deutschland, wie Vilsmeier betont.

Niemand erwartete ein solches Unglück, mit Folgen in vielerlei Hinsicht rechnen nun viele. Vilsmeier spricht von einer „katastrophalen Explosion mit dramatischen Folgeerscheinungen“. Auf den rund 40.000 Quadratmetern Betriebsgelände gebe es kein Gebäude, das nicht beschädigt sei. Weit mehr als die Hälfte von ihnen sei wegen gefährlicher Spalten und Risse nicht mehr benutzbar. Der Schaden betrage „mehrere zig Millionen Mark“. Wann der Normalbetrieb des Werks, das den Angaben zufolge mit zwei Zweigstellen rund 980 Menschen beschäftigt, wieder aufgenommen werden könne, sei noch unklar: „zwischen einem und 18 Monaten“.

Die Zwischenzeit werde „zugunsten der Mitarbeiter vernünftig geregelt“, erklärt der Geschäftsführer. Tiefe Sorge bereite ihm die wirtschaftliche Zukunft des Spezialbetriebs, der mit der Produktion von Quarzglas für die Halbleitertechnik auf dem internationalen Markt führend sei. „Die Explosion wird uns nicht vom Markt werfen, aber wir haben wahnsinnig harte Zeiten vor uns.“

Oberbürgermeister Martin sieht im Produktionsausfall und dem möglichen Kundenverlust ebenfalls ein schwieriges Problem für die Firma. „Gegen Sachschäden ist das Unternehmen wohl versichert.“ Den Anwohnern empfahl er, wegen der Glasschäden ihre eigenen Versicherungen zu bemühen.

In Anbetracht der unmittelbaren Nachbarschaft von Produktionsanlagen, Wohngebieten und Bahngelände hält der hessische Innenminister Herbert Günther nun eine Prüfung der Frage für nötig, ob künftig kleinere Produktionsbehälter für gefährliche Stoffe vorgeschrieben werden sollen. Angesichts der dichten Besiedelung des Rhein-Main-Gebietes erwartet er aber keine grundlegenden Konsequenzen für Industrieanlagen in der Nähe von Wohngebieten. Über Konsequenzen anderer Art ist sich Reichhardt, gelernter Physiker, sicher: „Das Unglück wird Auswirkungen auf die Technik haben.“ Angelika Bruder

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