: Der VS entdeckt den Neonazismus
■ In zwei Analysen zur Situation in Ostdeutschland preist sich der Verfassungsschutz als Retter in der Not an
Berlin (taz) — Am Wochenende sind zwei interne Analysen des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz bekanntgeworden, mit denen sich der Dienst vor allem selbst bescheinigt, wie nötig seine Arbeit in den neuen Bundesländern gebraucht wird. Nach den Erfahrungen mit der Stasi steht der Verfassungsschutz in Ostdeutschland vor Widerständen aus der Bevölkerung, die zum Teil aus Unkenntnis die Methoden von Stasi und VS gleichsetzen oder inzwischen schlicht jegliche Form geheimdienstlicher Tätigkeit ablehnt. Nur so ist verständlich, daß die eine Analyse (Rechtsextremismus im vereinten Deutschland — Aktivitäten und Tendenzen) in bislang ungewöhnlich klaren Worten feststellt: „Bei Verfassungsschutz und Polizei muß also zunächst angesetzt werden, wenn dem gespenstischen Spuk aus braunem Bodensatz sowie dumpfprimitiven und gewalttätigem Fremdenhaß (in Ostdeutschland) schnell und wirksam Paroli geboten werden soll.“
Politisch motivierte Gewalt gehe in den neuen Bundesländern überwiegend von Rechtsextremisten, vor allem von neonazistischen Skinheads aus. Gerade diese militanten Haltungen im Neonazismus würden in den kommenden Monaten „vorrangig Gegenstand“ der Arbeit der Verfassungsschützer sein. Wo für die Skinheadszene in Westdeutschland gern die politische Komponente vernachlässigt wurde, heißt es plötzlich für die Ex-DDR, Auftritte von Skins ohne neonazistische Begleitumstände seien selten. „Die Glatzköpfe (weisen) durchweg einen unterschwelligen Hang zu neonazistischen Denkmustern auf.“
Das künftige ostdeutsche Engagement des Dienstes wird schon deshalb für unentbehrlich gehalten, weil für ein „ausgewogenes und kompetentes Lagebild, die erste und wichtigste Voraussetzung zur wirksamen Bekämpfung von politischer Gewalt“ zwangsläufig fehle: „Die Informationen fließen nicht.“
Ein zweites Gefahrenfeld für die innere Sicherheit hat das Kölner Bundesamt laut 'Spiegel‘ und 'Bunte‘ unter ehemaligen Stasi-Angehörigen ausgemacht. Beide Blätter beziehen sich auf eine interne Analyse der Verfassungsschützer, in der es heißt, daß zur Zeit mehr als 100.000 frühere Stasi-Mitarbeiter und Mitglieder anderer bewaffneter Kaderorganisationen als „Nährboden“ für sicherheitsgefährdende und linksextremistische Bestrebungen gelten. Die Stimmung unter ihnen, die sich im vereinten Deutschland als „deklassiert, entrechtet und ausgegrenzt“ fühlen, sei „explosiv“. Aus den Reihen solcher Ex-Kader drohen nach Einschätzung des Verfassungsschutzes Anschläge und Erpressungen. Mit Hilfe von Aktenkenntnissen könnten „zahlreiche Personen in Ost- und Westdeutschland kompromitiert oder gefügig gemacht werden“. In der Gruppe, die die Möglichkeit hätte, Waffen und Sprengstoff in größerem Umfang zu beschaffen, bestehe die „Bereitschaft selbst zu schweren Straftaten“. bg
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