: Das linksdrehende Phänomen
■ Der Ch. Links Verlag nahe des Rosa-Luxemburg-Platzes in Ost-Berlin war die erste Privatgründung nach der Wende/ Das Kollektiv der drei MacherInnen greift auf die Erfahrungen westlicher Alternativverlage zurück/ Optimismus trotz Geldsorgen
Mitte. »Die sollten Klopapier bedrucken und Schluß!« Peter Richnow, Finanzverantwortlicher im kleinen Ostberliner Ch. Links Verlag, rauft sich die Haare: Die Biographie über Robert Havemann, die auf der Frankfurter Buchmesse fertig vorliegen sollte, ist total verdruckt, die Fotos sehen alle aus wie »Schwarze im Tunnel«. Das sei jetzt schon die dritte Ost-Druckerei, »die es einfach nicht hinkriegt, und mir geht nicht in den Kopf, weshalb.« Peter Richnow schlägt sich auf die Stirn. Deren Maschinen seien schließlich genauso modern wie die in westlichen Druckereien, »aber sie kriegen‘s nicht organisiert. Warum bloß, warum?« Woraus zu schließen ist: Wer im Osten Abenteuer erleben will, braucht offenbar bloß einen Verlag gründen.
Auch die Gründung selbst war weiland fast abenteuerlich. Christoph Links, Besitzer eines nach programmatischen Taten schreienden Nachnamens, war nämlich der erste DDR-Bürger, der nach der Wende und der Abschaffung der Zensur einen Lizenzantrag für einen Privatverlag stellte. Er dachte damals noch an eine Genossenschaft, doch just das realsozialistische Recht hätte den Genossenschaftern zuviel Privatkapital abverlangt. Man schrieb den 5. Januar 1990, als der Ex-Journalist Christoph Links, der ehemalige Industriemanager Peter Richnow und die frühere Buchhändlerin Marianne Greiner dann statt dessen die »LinksDruck GmbH« gründeten. 30 FreundInnen und Bekannte — JournalistInnen, WissenschaftlerInnen, ÜbersetzerInnen — lieferten als stille Teilhaber das Startkapital von 300.000 DDR-Mark. Davon sollten im ersten Jahr 15 Sachbücher erstellt werden. War es die langjährige Planerfahrung von Peter Richnow, einstmals Ökonomischer Direktor einer der Bezirksdirektionen Straßenwesen mit rund 2.000 MitarbeiterInnen, die dafür sorgte, daß das Plansoll heute mit 25 Titeln übererfüllt ist?
Ach woher. Die Organisation des jungen Verlages in der Zehdenicker Straße 1 fußt vielmehr auf selbstbestimmter Selbstausbeutung. »Aber«, glaubt Christoph Links, »wir haben heute den Vorteil, daß wir auf den Erfahrungen der westlichen Alternativszene aufbauen und bestimmte Sackgassen vermeiden können.« Er selbst, früher Lateinamerika-Redakteur der 'Berliner Zeitung‘, brachte seine langjährigen West-Connections zu Nicaragua-Komitees und Alternativverlagen in den Verlag ein. »Wir wollten kollektive Arbeit ohne die Fallstricke der taz-Plenarsitzungen oder der Buntbuch-Konferenzen«, faßt er die Anfangsdiskussionen zusammen. In einem Verlagsstatut sei deswegen folgender Triple- Schritt festgelegt worden: Entscheidungen seien per Konsens zu fällen. Wenn das nicht möglich sei, dann entscheide die Mehrheit. Dies aber nur, wenn der oder die Bereichsverantwortliche — Marianne Greiner für Lizenzen und Werbung, Peter Richnow für Vertrieb und Finanzen, er selbst für das Lektorat — kein Veto einlegen. Andernfalls müsse erneut bis zum Konsens diskutiert werden.
Wenn sich das noch gemäßigt alternativ anhört, dann geht es bei der Bezahlung der Arbeitszeit zurück bis in die tiefsten Stollen der Selbstausbeutung: 1.600 Mark brutto Einheitslohn im Monat stehen einem 14-Stunden-Tag gegenüber. Christoph Links, Vater zweier aufstrebender junger Töchter, kommt auf ein Nettomonatsgehalt von sage und schreibe 880 Mark. Und das bei einer Miete von 500 Mark ab 1. Oktober. Ohne seine Ehefrau als Ernährer der Familie — eine Ausnahmeerscheinung im Osten wie im Westen — hätte die Familie wahrscheinlich schon Hungerödeme.
Aber trotz enormer Finanzsorgen blickt Lektor Links recht optimistisch in die Zukunft. Das Verlagsprogramm finde bis in die rechte Provinzpresse hinein eine »wohltuende Resonanz«, und durch ein ausgebautes Vertriebsnetz seien ihre Bücher selbst bei Kiepert und Karstadt präsent. Daß man erst den Vertrieb aufbauen muß, bevor man Bücher produziert und nicht umgekehrt, das hätten sie bei einem selbstorganisierten Workshop im Sommer 1990 von den westlichen Kleinverlagen gelernt. Und dann noch die erste Jahresbilanz gleich in den schwarzen Zahlen! Trotz überteuerter DDR-Postgebühren und Halbierung des Stammkapitals durch die Währungsunion im Juli 1990 wies sie, »Augenblick, ich muß mal schnell in den Unterlagen wühlen«, das stolze Plus von 2.661 Mark und 54 Pfennigen aus.
Genug des Geldes, hier geht es doch schließlich um Inhalte! Genauer gesagt: um ein anspruchsvolles Buchprogramm mit dem Schwerpunkt Politik und Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ging das allererste Buch des Verlages, eine Lizenzausgabe von Georg Hermann Hodos, noch um die stalinistischen Schauprozesse in Osteuropa, so kamen später aktuelle Themen wie das Ende der Stasi oder Rechtsextremismus im vereinten Deutschland hinzu. Die Sujets des jetzigen Herbstprogramms sind indes bewußt noch breiter gestreut worden: Die Homoehe oder Wie frei ist die Walddorfschule? werden genauso debattiert wie Ein bißchen Männerhaß steht jeder Frau. Ein Mietenreport befaßt sich mit Alltag, Skandale und Widerstand. Und in der vielversprechenden, weil vom Ostberliner Stadtschreiber Heinz Knobloch herausgegebenen neuen Reihe Berliner Blicke sind just zwei reichbebilderte Bücher über Die Friedrichstraße und Unter den Linden erschienen. Ach ja, und lieferbar ist auch immer noch der Band, der unter dem schlichten Titel Das Linksphänomen endlich beweist, was wir alle und ganz besonders Christoph Links ja schon immer vermuteten: die Linksdrehung aller möglichen Moleküle, Joghurtkulturen und Pflanzenteile ist ein universales Naturgesetz, das leider nur vor den menschlichen Köpfen halt gemacht hat.
Doch auch unter den demonstrativ linksgedrehten Köpfen gibt es so manche hohlen Nüsse: Die Wahlkampfmanager einer gewisse Ost- Partei taten in dieser Stadt alles dafür, um das Wörtchen »links« für sich zu monopolisieren. Als »U-Boot der PDS« wollten die GründerInnen der »LinksDruck GmbH« aber nun wirklich nicht so gerne gelten. Seit Juli firmieren sie deshalb unter neuem Namen: Ch. Links Verlag, Berlin- Mitte, Nähe Rosa-Luxemburg- Platz. Ute Scheub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen