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Greenpeace: Öko- Manager in Klausur?

Geld macht nicht glücklich — auch Greenpeace nicht. Die erfolgreichste Umwelttruppe Deutschlands ist in einer Identitätskrise. Wolfgang Lohbeck, Leiter der Abteilung Luft, würde für Öko-Ehrlichkeit auf manche Spendenmark verzichten. Die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt sei eine „obszöne und perverse Veranstaltung“. Neue Töne bei Greenpeace, die bislang die Konsumenten eher schonte. Die taz befragte den ehemaligen Architekten und Schornsteinbesteiger nach der Perspektive von Greenpeac in den 90er Jahren—zwischen ökologischem Ablaßhandel und Fördererbeschimpfung.  ■ INTERVIEWVONBERNDULRICHUNDJENSSIEGERT

taz: Wenn ein modernes Unternehmen in der Gefahr steht, seine Corporate Identity zu verlieren, würde die Unternehmensleitung das ganze Management für eine Woche in die Bretagne ins Kloster schicken. Wann fährt denn Greenpeace aufs Land?

Wolfgang Lohbeck: Ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis wir das machen. Das von Greenpeace geplante Strategie-Seminar geht ja schon in die Richtung. Wir wollen ein paar Tage außerhalb des Büros verbringen. Die Planungen laufen aber noch sehr stark in klassischen Strukturen wie Arbeitsgruppen, die auch den Ruch des Sterilen haben. Inhaltlich geht es auch um die Frage, wie man die Rolle der Kontaktgruppen verändern kann. Aber ohne Ziel einfach mal eine Woche abschalten, das werden wir bestimmt auch machen. Ich selber bin seit zwei Wochen wieder hier. Ich war drei Monate weg von Greenpeace, weil mir wirklich nichts mehr eingefallen ist.

Hat die persönliche Einfallslosigkeit nicht auch im großen verbalen Umweltkonsens ihre Ursache? In Ihrem Bereich, dem Klima, zeichnet sich die Bundesregierung doch durch großes Beschlußheldentum aus. Wie kommt Greenpeace aus der politischen Umarmung noch heraus?

Das ist eine schwierige Frage. Denn objektiv ist es ja so, daß die Bundesregierung klimapolitisch eine Vorreiterrolle hat. Deswegen tun wir uns ein bißchen schwer. Schließlich kann man einen Herrn Töpfer oder das deutsche Kabinett nicht für mangelnde Fortschritte prügeln, die im internationalen Maßstab vielleicht nicht durchsetzbar waren. Was wir Töpfer vorwerfen, ist nicht, daß er in Sachen Klima nicht mehr erreicht hat, sondern daß er die Beschlüsse nun als großen Fortschritt, als beinahe schon erreichtes Ziel ausgibt.

Greenpeace hat auch bei den Aktionen gegen die Industrie zunehmend Abgrenzungsprobleme.

Im Prinzip ist bekannt, wo die Umweltprobleme liegen, nicht zuletzt durch unsere Mitwirkung. Das war vor zehn Jahren noch anders. Insofern scheint die Basis für Aktionen, wie wir sie immer schon gemacht haben, zunächst besser zu sein. Vor zehn Jahren hätte wahrscheinlich niemand Verständnis dafür gehabt, wenn wir uns vors BASF- Tor gesetzt hätten mit unserer Gruppe. Da hätten sie uns vielleicht auch verprügelt. Bei unserer Aktion heute Nachmittag vor den Toren der BASF hat man uns stattdessen hinterher Vitaminbonbons angeboten. Da läuft man heute gegen eine Gummiwand. Auf der anderen Seite zeigen die Reaktionen doch, daß diese Leute Angst vor der Konfrontation haben.

Die Industrie weicht der Konfrontation mit Greenpeace aus und Sie weichen der mit den Verbrauchern aus. Dabei ist es unter Ökologen schon fast Allgemeingut, daß eine ökologische Wende ohne Umstrukturierung unseres Wohlstandsmodells nicht möglich ist. Ohne einen gewissen Konsumverzicht wird es nicht gehen. Die Konsumenten sind aber die Massen, die Greenpeace so furchtbar lieben.

Wir sehen die Massen nicht als primären Verursacher an. Sie sind zwar letztlich auch der Auslöser von Emissionen und Verbrauch. Aber ich sehe sie auch als Opfer, eingebunden in Verhältnisse, aus denen sie nicht ohne weiteres rauskönnen. Der Konsument kann zum Beispiel auf den Kauf einer Dose Thunfisch verzichten, wenn er weiß, daß beim Thunfischfang Delphine getötet werden. Aber beim FCKW hatte doch der Verbraucher gar keine Möglichkeit der Reaktion. Er wußte ja gar nicht, wo FCKW überall drin ist.

Beim Erzeugen von Kohlendioxyd weiß er es...

Da weiß er es, das ist richtig, er kann sparen, sicher. Nur sind die Konsumenten überwiegend Opfer eines doktrinären Glaubens an den Wohlstand. Und der hängt eben am deutlichsten immer noch mit dem Auto zusammen. Um von diesem Glauben loszukommen, müßte von der Politik und den Großunternehmen etwas getan werden. Es müßten die richtigen Vorbilder gezeigt werden. Die Automobilkonzerne müßten andere Zeichen setzen und mal sagen: Wir stellen in dieser Gewichtsklasse kein Auto mehr her. Mercedes macht heute das gerade Gegenteil. Sie bauen mit der neuen S- Klasse das dümmste Auto seit Erfindung dieses Gerätes. 2,5 Tonnen Eigengewicht, im Normalfall ein Manager, also 100 kg Nutzlast. Wenn man dann noch den Wirkungsgrad des Otto-Motors mit 17 Prozent in Ansatz bringt, kommt man zu einer Endenergieausbeute von einem Prozent. Das muß man sich mal überlegen — 99 Prozent für nix.

Der Konsument als Opfer, heißt das für Greenpeace business as usual — plakative Aktionen, klare Ziele, große Gegner?

Sie wissen, daß wir uns schon seit einer ganzen Weile Gedanken machen, wohin unsere Arbeit geht. Man kann bestimmte Aktionsformen nicht immer wiederholen. Die Strategie wird sicherlich, vereinfacht gesagt, auf zwei Wege gerichtet sein. Der Verbraucher spielt darin eine Rolle, aber ganz zentral werden wir die Hersteller angehen. Wie das im einzelnen aussieht, kann ich jetzt noch nicht sagen. Das Transparent am Werkstor ist aber sicher nicht die einzige Möglichkeit. Wir haben ja gegen Hoechst eine relativ neue Form der Auseinandersetzung gewählt, indem wir auf die wirklich Topverantwortlichen als Personen hinwiesen. Das machen wir nicht, weil wir den Buhmann brauchen, sondern weil es den Buhmann gibt. Politiker müssen sich jeden Tag sehr harte Sachen anhören, und wenn es der kleinste Landtagsabgeordnete ist — von Möllemann und Kohl mal ganz zu schweigen. Und die Wirtschaftsführer, die Dinge von einer Tragweite zu verantworten haben, die oft wesentlich darüber hinaus geht, die sitzen im Windschatten.

Sie haben gesagt, die IAA sei eine obszöne und perverse Veranstaltung. Dementsprechend müßten aber die Besucher, die da waren, abartige Voyeure sein?

Zumindest zu einem Teil, das ist ganz klar. Ich habe auf der IAA gesagt, Autofahren ist unter den heutigen Rahmenbedingungen eine im Kern asoziale Tätigkeit. Daraufhin habe ich jede Menge Protestbriefe gekriegt: „Ich kündige meine Mitgliedschaft bei Ihnen; ich lasse mir nicht vorwerfen, ich sei asozial.“ Ich sage nicht, du fährst Auto, also bist du asozial. Das Autofahren aber ist eine Tätigkeit, die sich asozial auswirkt, und von diesem Vorwurf kann man heute nicht runter.

Das hört sich an wie eine Fördererbeschimpfung. Wollen Sie so das Problem mit den übervollen Festgeldkonten von Greenpeace lösen?

Unsere Spenden vermindern? Das wollen wir natürlich gar nicht. Im Gegenteil, wir wollen immer noch mehr Spenden haben. Trotzdem empfinde ich es persönlich als befremdlich, wenn bei unseren 750.000 Förderern, die uns mehr oder weniger große Summen spenden, das weitgehend folgenlos für den persönlichen Lebensstil bleibt. Das ist deprimierend. So darf es nicht bleiben. Das ist natürlich ein ganz wesentlicher Teil unserer Selbstkritik, daß viele uns gefördert haben, weil es ihnen nicht an ihren eigenen Pelz geht. Ich denke, wir müssen viel mehr dahin kommen, auch Dinge zu tun oder zu sagen ohne Angst um die Förderer. Ich persönlich hätte nichts dagegen, wenn die Fördererzahlen auch mal schrumpfen, wenn man dafür einen Stamm von Förderern hat, bei dem man sich auch auf konkrete Mitwirkung bei Aktionen wie dem massenhaften Stillegen des eigenen Autos verlassen kann, wie wir das für November geplant haben.

Die Konzentration auf die Hersteller und auf spektakuläre Aktionen reicht alleine nicht mehr. Das Feld des technokratischen Umweltschutzes ist besetzt, sei es von Instituten, sei es von staatlichen Organisationen. Wie kann das Originäre von Greenpeace erhalten bleiben?

Ich könnte es mir natürlich leicht machen und sagen, ich will unserem Struktur- und Perspektivseminar nicht vorgreifen. Nur, um den Kern kommen wir nicht drumrum. Es kommt immer darauf an, den Konflikt zwischen Industrie und Umwelt darzustellen, mit welchen Mitteln auch immer. Das einfachste war, an einen Schornstein ein Banner zu hängen und zu sagen, hier kommt die Schweinerei raus, hier werden die Fässer ins Meer geschmissen. Das versteht jeder unmittelbar aus einem gewissen Urinstinkt heraus. Es gehört sich einfach nicht, solche Fässer ins Meer zu schmeißen.

Die Message der 80er Jahre war: Wir sind Robin Hood und die Industrie ist der Sheriff von Nottingham. Was ist die Message der 90er Jahre?

Es ist sicher nicht die Message, nur noch Lösungen zu erarbeiten. Natürlich müssen wir auch Lösungen erarbeiten. Wir werden z.B. versuchen, mit der Stadt Schwerin gemeinsam ein Verkehrskonzept zu entwickeln und umzusetzen. Aber es reicht nicht, die 90er Jahre zum Jahrzehnt der Lösungen zu erklären. Das suggeriert, die Industrie wüßte die Lösungen nicht. Die Lösungen sind da. Sie werden nur nicht umgesetzt.

Die Umweltbewegung scheint insgesamt in der Krise zu sein. Ihre auffälligsten Protagonisten, also die Grünen und Greenpeace, sind nur als erste öffentlich unters Messer geraten. Warum?

Die Umweltbewegung ist natürlich auch wegen eigener Fehler in der Krise. Hauptgrund ist aber die gesamte politische Weltlage. Wir haben uns früher irgendwo eingerichtet in unserem Blockdenken. Wir sind die Westlichen, die sind die Östlichen, und die Dritten haben wir noch nicht so sehr im Blick gehabt. Da war das Mäuerchen drumrum, aber irgendwie hat man sich darin doch ganz wohl gefühlt und versucht so in seinem Gärtchen die Sachen zu verbessern. Jetzt ist alles, einfach alles, explodiert. Es gibt überhaupt keinen Bezugsrahmen mehr. Früher gab es — wenn auch nicht für mich — das Schema von Gut und Böse. Das ist vorbei. Die extremen und dramatischen politischen Umwälzungen haben den Umweltschutz in seiner Bedeutung an die Wand gedrückt. Deswegen wird eine Message für die 90er sicher sein, an seine Notwendigkeit zu erinnern.

Andere Ökologen sehen die Krise aber grundsätzlicher. Die Umweltbewegung hat nach ihrer Meinung drei Phasen gehabt. Die erste war, sich auf die Schornsteine zu setzen, damit die Filter draufkommen. Der Kampf gegen die schlimmsten Umweltsünden. Die zweite Phase ist die der technokratischen Lösungen. Für die Umweltbewegung heißt das immer noch, in Ausschüssen sitzen, Gutachten machen. Die dritte Dimension fehlt mittlerweile — die von Seinlassen, Langsamkeit, Entschleunigung, Naturnähe. Die Ökologen kennen häufig die Natur nicht mehr, die sie schützen wollen. Die Umweltbewegung müht sich ab, genauso schnell zu sein, wie die S- Klasse von Mercedes.

Je länger wir darüber reden, desto ratloser werde ich. Die dreckige Luft kommt nicht mehr aus dem Schornstein, sie kommt diffus anderswo raus, und man kann sie eben immer weniger nachweisen. Die Diskussion wird immer technokratischer und immer weniger nachvollziehbar. Es ist immer schwieriger Buhmänner zu finden, weil jeder sich immer besser rausreden kann. Auch Mercedes produziert ja die S-Klasse angeblich nur, um mit dem Geld, das sie da verdienen, die Öko-Investitionen bei den kleineren Modellen zu finanzieren. Die Lösungen werden auch immer komplizierter.

Stichwort Recycling. Recycling ist letzten Endes Unsinn. Schmeißen Sie ihr Bierglas weg, nachdem sie es in der Kneipe leergetrunken haben? Nein, das wird gespült. Aber bei der Flasche gilt es inzwischen schon als ökologische Heldentat, wenn man sie in den Container schmeißt.

Da sind wir beinahe in einem Dilemma. Natürlich versuchen wir täglich auch mit unseren Aktionen, Meldungen zu produzieren. Meldungen auf Teufel komm raus. Es wird uns ja von den Zeitungen immer vorgeworfen, ihr macht zu wenig mit dem Geld. Wir überschlagen uns ja, weil wir jeden Tag eine Meldung produzieren wollen. Jeden Tag sind wir entweder bei Höchst oder bei BASF zu einem Gespräch, zu einer Aktion, zu einer Demonstration. Irgendwo stehen wir immer, kommen gar nicht mehr zur Ruhe. Es wäre tatsächlich nicht schlecht, wenn Greenpeace vielleicht mal ein halbes Jahr oder ein Jahr überhaupt gar nichts macht, sondern innere Einkehr hält. Schließlich sind wir selbst auch Vorbilder. Im letzten Greenpeace-Magazin haben wir gesagt, wir lassen unsere Autos stehen. Das gab hier eine riesige interne Diskussion.

Reicht das Hoffungspotential noch aus zum Weitermachen?

Wir müssen weitermachen. Wir haben keine andere Wahl. Die Aufbruchsstimmung ist natürlich nicht mehr da. Vor 20 Jahren hat man angefangen, Wale zu schützen und man sah irgendwann Ergebnisse. Das war ein echter Erfolg. Es war ja auch ein kleines Thema. Und jetzt wird die Zahl der Themen immer größer. Daß alles miteinander zusammenhängt, hat sich auch für uns auf eine sehr unangenehme Weise bewahrheitet. Es wird immer schwieriger, wird punktgenau — wie wir das früher gerne gemacht haben —, Dinge anzugehen und eventuell zu gewinnen. Es gibt hier ein internes Leitmotiv: „Kampagnen müssen gewinnbar sein.“ Ich halte das — je länger ich darüber nachdenke — für eine schlechte Position. Man muß Dinge, die richtig sind, einfach anfangen, ob sie gewinnbar scheinen oder nicht. Als die ersten Greenpeaceler an den Schutz der Wale rangegangen sind, sah das alles andere als gewinnbar aus.

Zu unserer Perspektive gehört natürlich auch das Thema Verbraucherverhalten, aber nicht auf der Ebene Milchflasche, sondern sehr viel grundsätzlicher. Da sind wir auch wieder bei den Anfängen, wo wir immer sehr viel von Indianern geredet haben. Das ist bei uns jetzt nicht mehr „in“. Vielleicht wird man ein bißchen dahin wieder zurückmüssen.

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