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Der Sturz des Imam

■ Die ägyptische Autorin Nawal el-Saadawi im Haus der Kulturen der Welt: Aufbegehren gegen die Unterdrückung der Frauen in der arabischen Welt

Es war die Nacht des Großen Festes. Sie hatten mich die ganze Nacht gejagt, und nun stellten sie mich. Ich wurde im Rücken getroffen. Allein war ich durch die Dunkelheit gelaufen, auf der Suche nach meiner Mutter, nur von meinem Hund begleitet. Irgendetwas traf mich von hinten. Ich wandte mich um, wollte sie sehen, doch sie verschwanden wie erschreckte Fische... Sie können nicht kämpfen, sie haben keine Ehre, keinen Stolz. Stets schlagen sie von hinten zu.«

Die Erzählung des Waisenmädchens Bint Allah, Tochter Allahs, zieht sich als Leitmotiv durch den Roman Der Sturz des Imam von Nawal el-Saadawi, der zur Buchmesse erscheint (Con, Bremen, 1991) und aus dem sie heute abend im Haus der Kulturen der Welt lesen wird.

Bint Allah wird getötet, weil sie »das Kind der Sünde ist«. Weil schon ihre Mutter zu Tode gesteinigt wurde, wegen Ehebruchs, obwohl sie vorbrachte, sie sei ohne ihr Wissen vom Imam selbst, der ihr eines Nachts im Traum erschienen sei, geschwängert worden. Diese Erzählung des Waisenmädchens, das sich als Hure verdingt, kehrt refrainartig als rhythmische Klage wieder, und mit ihr die Frage, warum man die Opfer und nicht die Verbrecher bestraft. Die Verfolgung, Vergewaltigung und Tötung von Bint Allah bildet so etwas wie den Knoten des Romans, um den herum eine Reihe weiterer Erzählstränge angelegt ist. Wie Bint Allahs Geschichte mal aus der Perspektive der ersten, dann wieder der dritten Person erzählt wird, so blicken wir bald durch die seiner europäischen Frau, die für ihren Mann vom Christentum zum Islam konvertiert ist und in ihren Gebeten immer beide Traditionsstränge vermischt. Daneben wird uns die Perskeptive des Leibwächters geboten, der nach dem Sturz des Imam als dessen Doppelgänger fungiert und als solcher zwei weitere Sichtweisen auf die Vorgänge erlaubt.

Mit Hilfe dieser sowohl realistischen wie märchenhaften Erzählweise legt Nawal el-Saadawi die arabische Welt und ihre Handlungsimpulse unaufdringlich von innen her bloß: die unter frommen Sprüchen an der Frau vollzogene Gewalt. In diesem zyklisch strukturierten Roman ist die Zeit auf Ewigkeit angelegt, die Widerspürche koexistieren wie Perlen auf Gebetskränzen. Bint Allahs Suche nach der Mutter, deren Gesicht sie seit der Geburt nicht mehr sah, die gegen Ende durch eigene Mutterwerdung eingelöst wird, ist das Grundmotiv von Nawal el-Saadawis Schreiben: die Weiterentwicklung der mütterlichen Tradition. Schon ihr erstes auf deutsch erschienenes Buch Tschador-Frauen im Islam (Con, 1980) widmete sie ihrer Mutter mit den Worten: »Jener großartigen Frau, die lebte und starb, ohne mir ihren Namen geben zu können«. Die ägyptische Ärztin und Schriftstellerin, 1931 in dem Dorf Kafr Thala am Nil geboren, hat in jedem ihrer drei bislang auf deutsch erschienenen Romane (Ich spucke auf euch, 84;Gott stirbt am Nil, 86; Ringelreihen, 90) dieses Thema erneut variiert. Als sie in ihrem 1972 in Ägypten erschienenen Sachbuch Women and Sex die sexuelle und ökonomische Ausbeutung der Frau anprangerte, verlor sie ihre Stelle im Gesundheitsministerium, die Zeitschrift, für die sie arbeitete, mußte eingestellt werden, ihre Bücher wurden in Ägypten und einigen anderen arabischen Ländern verboten. Sollte sie mit ihrem neuen Roman nun endlich auch die ihr gebürende Würdigung als Literatin erfahren? Michaela Ott

Nawal el-Saadawi liest heute abend um 20 Uhr im Haus der Kulturen der Welt.

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