Brief K.F. Schinkels

■ an den Kronprinzen Maximilian von Bayern, Berlin, Anfang 1840

Die von E.K.H. mir gestellten Fragen in Beziehung eines charakteristischen, dem Fortschritt in der Zeit passenden Baustyls sind nicht leicht zu beantworten, und wenn man wirklich darauf eine Antwort wörtlich aussprechen könnte, so wäre damit in der Sache selbst noch nichts geholfen, sondern nur die Richtung des Wegs vorgeschrieben, auf welchen ein Individuum von Genie sich begeben muß, um praktisch das hinzustellen, was man intentionirt.

Es wird vorzüglich darauf ankommen, einen Gegenstand zu erdenken, der der vorrückenden Zeit unentbehrlich wäre, derselben ganz genügte und der den Fortschritt nicht allein deutlich zeigte, sondern ihn auch nach seinem inneren Gehalte weiter fortzubilden im Stande wäre. Um ihn hinzustellen, könnte viel beitragen, daß man das Schönste in Verhältnissen aus der vorhandnen Architectur zusammenfaßte und in seiner Reinheit hinstellte, daß man das Naive und Ursprüngliche griechischer Kunst vorzüglich darin characterisirte oder das Erhabene, Vielfachgestaltete einer Mittelalterkunst eintreten ließe oder gar daß man sich von dem einseitigen Begriff lossagte, jede dieser Stylarten allein und ganz gesondert hinzustellen, womit nur ein Geschichtliches erreicht wird, nicht aber was hier gesucht wird, sondern eine Verschmelzung, je nachdem der Character es fordert, zu gestalten; wobei freilich ein strenges Princip der Characteristik der Hauptaugenmerk bleiben muß. Das Geschichtliche müßten wir der Zukunft überlassen, welche aus dem aufgestellten Werke durch weitere Fortbildung und Vollendung ein Geschichtliches erzeugte: Dasjenige, was bei der Kunst überhaupt das einzige sein müßte, was in dieser Beziehung erstrebt würde.

Jedes Kunstwerk muß ein ganz neues Element bei sich haben, auch wenn es im Character eines bekannten schönen Styls gearbeitet ist; ohne dies neue Element kann es weder für den Schöpfer noch für den Beschauer ein wahres Interesse erzeugen. Dies neue Element aber ist es, was ihm das Interesse für die bestehende Welt giebt, welches das Mehr aus dem bestehenden heraustreten läßt und dadurch das Bestehende mit einer neuen Farbe verschmilzt und den Reiz eines lebendigen Geistes darüber ausgießt. Was aber zu einem solchen für Erfindung, für Verschmelzung, für Anknüpfungspuncte der verschiedensten Art gehören, ist nicht auszusprechen, und es bleibt immer das sicherste Mittel, sich nach einem Talent umzusehn, das durch beständiges practisches Arbeiten die Versuche über den Gegenstand, wie ich ihn im Anfang erwähnt habe, zu einem Grad der Vollendung emporwachsen läßt, der eine Befriedigung giebt und die Aussicht eröffnet, daß der an diesem Gegenstand sich aussprechende Styl von der Art sei, eine fernere Vollendung zuzulassen. Ein solches Resultat würde schon das befriedigendste sein, was man erwarten dürfte.

E.K.H. bin ich so frei zu bekennen, daß dies das Höchste sein würde, worauf ich rechnen würde. Unter einer Menge talentvoller Individuen würde ich deßhalb den Versuch machen lassen. Diese können, jeder für sich, nach den gegebenen Andeutungen projectiren und bliebe ihre fernere Communication der Ideen nicht vorenthalten. E.K.H. werden auf diesem Wege gewiß erfreuliche Resultate erzeugen, wenn auch nicht das für alle Zeiten Abgeschlossene und Befriedigende erreicht wird. Ist dies doch nicht mit dem Glanz des Griechischen, mit der Pracht des Römischen, mit der Ausdehnung des Mittelalterlichen erreicht worden. Jedes hat seine Jahrhunderte gedauert, und das ist gerade recht und man kann sich damit begnügen und der Welt das Weitere überlassen. Der Geist ist frei und unberechenbar. Hätten wir ihn in einer Zeit ganz erfaßt und wäre keine Änderung weiter möglich, so wären wir am Ende des Erdenlebens, was wir noch weit hinausgestellt wünschen müssen.