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Von der Kürze des Lebens

■ Senecas Brief an den Wirtschaftsminister Roms

Entziehe Dich also der Masse, bester Freund Paulinus, und setze Dich, umgetrieben, wie es dein Alter nicht verdient, in einen ruhigeren Hafen ab! Zur Genüge ist schon durch mühevolle und ruhelose Beweise Deine mannhafte Haltung herausgestellt: Versuch einmal, was sie in der Ruhe vermag! Den größten Teil des Lebens, jedenfalls den besseren, magst Du dem Staat gegeben haben, etwas von deiner Zeit nimm auch für Dich! Ich fordere nicht zu einer säumigen und trägen Ruhe auf, nicht dazu, daß Du Dich im Schlaf oder in den der Masse vertrauten Vergnügungen versinken läßt, was immer an lebendiger Kraft in Dir steckt. Jene Kraft Deines Geistes, höchst befähigt für die bedeutendsten Dinge, rufe zurück von einem Amt, das zwar Ehre einbringt, aber für ein glückliches Leben gar nicht zuträglich ist, und überlege Dir, daß Du Dich nicht von frühester Jugend an mit dem ganzen Studium der freien Künste deshalb beschäftigt hast, damit man Dir viele Scheffel Getreide sicher anvertraue. Du hattest etwas Bedeutenderes und Wichtigeres von Dir erwarten lassen.

Das Beispiel, das mir eben in den Sinn kommt, kann ich nicht übergehen: Sextus Tyrannius war ein alter Mann von ausgesprochener Gewissenhaftigkeit, der sich nach seinem neunzigsten Lebensjahr, als er vom Kaiser Gaius die Entlassung aus der Amt ohne sein Zutun erhalten hatte, auf ein Lager betten und wie tot von der umstehenden Familie beklagen ließ. Das Haus betrauerte die Muße des alten Herrn und machte der Trauer kein Ende, bevor ihm nicht seine Arbeit wiedergegeben wurde. Macht es wirklich solche Freude, mitten in der Arbeit zu sterben? Seneca

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