: US-Jugendliche im Todestrakt
amnesty international protesiert gegen Hinrichtungen jugendlicher Straftäter in den USA/ Klarer Verstoß gegen internationale Konventionen, doch laut Oberstem Gerichtshof verfassungskonform ■ Von Andrea Böhm
Daß Dalton Prejean eine Gefahr für sich und andere war, das hatten die Ärzte in der psychiatrischen Klinik im US-Bundesstaat Louisiana jedem bestätigt, der es wissen mußte: Der Jugendbehörde, seiner Familie und dem Gericht, das den jungen Schwarzen eingweisen hatte, nachdem er, 14jährig, der Beteiligung an der Ermordung eines Taxifahrers überführt worden war. Nur ging der Klinik nach drei Jahren das Geld aus, Prejean wegen schwerer Verhaltungsstörungen, Schizophrenie und depressiver Schübe weiter zu behandeln. Man setzte den nunmehr 17jährigen ohne jede weitere Betreuung auf die Straße. Sechs Monate später erschoß Dalton Prejean, vollgepumpt mit Drogen und Alkohol, einen Polizisten mit weißer Hautfarbe. Ein nur aus Weißen zusammengesetztes Geschworenengericht verurteilte Prejean wegen Mordes zum Tode. Fast auf den Tag genau zwölf Jahre nach dem Urteil wurde er am 18. Mai 1990 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Die Statistiker führen ihn seitdem als den Gefangenen, der am längsten im Todestrakt von Louisiana überlebt hat: Zehnmal wurde der Hinrichtungstermin aufgeschoben.
Daß Dalton Prejean zur Tatzeit erstens unter Drogeneinfluß stand und zweitens noch keine achtzehn Jahre alt war, wurde bei der Verhandlung über das Strafmaß gegenüber den Geschworenen überhaupt nicht erwähnt. Ob es etwas geändert hätte, bleibt Spekulation, denn einen Jugendlichen zum Tode zu verurteilen, ist in 24 US-Bundesstaaten, darunter Louisiana, nicht verboten. Im Juni 1989 entschied der Oberste Gerichtshof der USA, daß selbst das Todesurteil gegen einen Mordangeklagten, der zur Tatzeit 16 Jahre alt war, nicht gegen das in der Verfassung festgeschriebene Verbot „grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung“ verstosse.
Über 90 Jugendliche, so gab die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) gestern bekannt, sind seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA 1976 zum Tode verurteilt worden. Zwar wurde in der Mehrzahl der Fälle das Urteil im Berufungsverfahren in eine lebenlange Haftstrafe umgewandelt, in vier Fällen jedoch vollstreckt. Nach wie vor warten 31 Jugendtäter in den Todestrakten auf die Vollstreckung ihres Urteils — eine vergleichweise geringe Zahl bei insgesamt 2.400 zum Tode Verurteilten, aber nach Recherchen von ai „verurteilen und töten die Vereinigten Staaten mehr jugendliche Straftäter als fast alle anderen Staaten dieser Welt“.
Dabei sind internationale Menschenrechtsstandards, auf die die US-Regierung in anderen Zusammenhängen gerne pocht, in diesem Fall eindeutig: Sowohl der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, als auch die amerikanische Menschenrechtskonvention verbieten ausdrücklich die Verhängung von Todesurteilen gegen Personen unter 18 Jahren. Beide Pakte haben die USA unterzeichnet, aber bislang nicht ratifiziert.
Die meisten der jugendlichen Insassen in den Todestrakten kommen, wie Dalton Prejean, aus völlig zerrütteten Familienverhältnissen, waren Opfer von Schlägen, sexuellem Mißbrauch. So verurteilte ein Gericht in Georgia 1981 die zur Tatzeit 17jährige Janice Buttrum wegen Mordes, gemeinsam begangen mit ihrem elf Jahre älteren Ehemann, zum Tode. Dem Pflichtverteidiger des Mädchens wurden während des Verfahrens Geldmittel für einen Psychiater verwehrt, der bezeugen sollte, daß die Angeklagte die geistige und psychische Reife einer Zwölfjährigen besaß. Buttrum war nach ihrer Geburt von ihrer Mutter verkauft worden und wuchs bei Pflegeeltern in einem heruntergekommenen Wohnwagen auf. Das Mädchen selbst mußte über Jahre in einem Autowrack hausen. Sie wurde sexuell mißbraucht und schließlich für sechs Monate in eine Jugendstrafanstalt eingewiesen: Nicht weil sie straffällig geworden wäre, sondern weil man sie sonst nirgendwo unterzubringen wußte. Keiner dieser Umstände wurde von den Geschworenen bei der Urteilsfindung berücksichtigt. In ihrem Fall hatte der Verteidiger einfach nicht das Geld, um entsprechende Gutachten vorzulegen. In vielen anderen Fällen, so amnesty international, versäumen es die Anwälte jugendlicher Mordangeklagter aus Desinteresse oder schlichter Inkompetenz, entlastendes Material vorzubringen. In manchen Fällen habe der Verteidiger noch nicht einmal das Alter seines Mandanten vor Gericht erwähnt. „Die Todesstrafe“, so ai, „ist in keinem Fall akzeptabel. In den USA jedoch werden Jugendliche zum Tode verurteilt, ohne vorher ordentlich vor Gericht vertreten worden zu sein.“ Janice Buttrum immerhin hatte mehr Glück als Dalton Prejean: Ihr Todesurteil wurde 1989, nach acht Jahren im Todestrakt, in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen