: Japan gibt Geld ins Faß Sowjetunion, ohne Boden dafür zu bekommen
■ UdSSR erhält 2,5 Milliarden Dollar Winterhilfe — und die Kurileninseln bleiben trotzdem russisch
Tokio/Moskau/Berlin (dpa/taz) — Die japanische Regierung hat gestern ihren Widerstand gegen eine großangelegte Finanzhilfe für die Sowjetunion aufgegeben und ein Programm im Umfang von 2,5 Milliarden Dollar (4,2 Mrd. DM) beschlossen. Nach Angaben eines Regierungssprechers besteht das Angebot aus 500 Millionen Dollar für Nahrungsmittel und Medikamente sowie zwei Milliarden Dollar für Kredite und Versicherungsgarantien zur Absicherung von Handelsgeschäften. Die Regierung in Tokio hatte bislang lediglich eine Nahrungsmittelhilfe von 100 Millionen Dollar bereitgestellt.
Japan reagierte damit auf einen Appell der Europäischen Gemeinschaft, die am Montag in Luxemburg eine Aufstockung ihrer Lebensmittelhilfe von 1,5 auf vier Milliarden DM beschlossen hatte. Die EG-Finanzminister forderten die USA und Japan auf, diesem Schritt umgehend zu folgen. Die Hilfen stehen an diesem Freitag im Mittelpunkt eines Treffens der Finanzminister aus den sieben führenden Industriestatten (G-7) in Bangkok. Dabei geht es auch um die Forderung Moskaus nach einem vorübergehende Aussetzen der sowjetischen Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber westlichen Kreditgebern.
In der Gruppe der sieben größten Wirtschaftsnationen (G-7; USA, Japan, Bundesrepublik, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada) hatte sich Japan in den vergangenen Monaten am deutlichsten gegen eine massive Unterstützug für die sowjetische Wirtschaft ausgesprochen. Neben dem Argument, die Sowjetwirtschaft sei ein Faß ohne Boden, hatte die Regierung in Tokio eine großzügige Finanzhilfe von der Rückgabe der Kurileninseln abhängig gemacht. Die Inselgruppe nördlich von Japan steht seit 1945 unter sowjetischer Verwaltung.
Noch immer allerdings ist schwer abzuschätzen, wieviel Finanzhilfe die Sowjetunion für den angestrebten Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft brauchen wird. Nur scheint es im Club der sieben reichsten Länder inzwischen grundsätzlich akzeptiert zu sein, daß das auseinanderfallende Riesenland ohne Geld und Know-how aus dem Ausland den Sprung in ein neus Zeitalter nicht schaffen kann.
Der Vorsitzende des interrepublikanischen Wirtschaftskomitees, Iwan Silajew, betont zwar immer wieder, die Republiken hätten erkannt, daß privates Eigentum, Unternehmertum und Wettbewerb Voraussetzungen für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung seien, doch in der Praxis sieht es häufig anders aus. Westliche Manager wissen oft nicht, wer gerade das Sagen hat und ob und wie eventuell bezahlt wird. Sie halten sich deshalb mit neuen Geschäften zurück.
Dabei braucht die UdSSR, wie der Präsident der EG-Kommission, Jaques Delors, es formulierte, nicht nur Nahrungsmittelhilfe für diesen Winter, sondern auch langfristige Unterstützung für neue Industrieanlagen und für die Verbesserung der Infrastruktur.
Die Republiken müssen teilweise noch das marktwirtschaftliche Einmaleins lernen, wobei der Internationale Währungsfonds (IWF) helfen soll, der die UdSSR als assoziiertes Mitglied aufgenommen hat. Der Präsident der Budget- und Plankommission des sowjetischen Parlaments, Viktor Kutscherenko, bemängelte im September, daß die Republiken ständig neues Geld druckten und damit dann vesuchten, bei den anderen einzukaufen. Die Inflation, die in den letzten zwölf Monaten 100 Prozent betrug, dürfte so eher noch zu- als abnehmen. dri
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