: Die Seelenfänger auf dem Kreuzzug 1991
Tagung des Bundestagsausschusses für Frauen und Jugend zum Thema Jugendsekten in den neuen Ländern/ Scientology-Sekte versuchte, Abgeordnete und Medien im Vorfeld zu beeinflussen/ Negativschlagzeilen stören Seelenfang ■ Von Bascha Mika
Berlin (taz) — „Stimme niemals einer Untersuchung der Scientology zu!“ Diese Verhaltensregel gab L.R. Hubbard, toter Oberguru der Scientology-Kirche, einst seinen Jüngern. Pech für die Sektenanhänger, daß sich der Bundestagsausschuß für Frauen und Jugend nicht daran hält. Heute wird er sich mit den Umtrieben des fanatischsten, reichsten und rabiatesten Psycho-Kults auf deutschem Boden befassen.
Was sie nicht verhindern konnten, wollten die PR-Strategen der Pseudokirche wenigstens beeinflussen. In einem internen Papier vom 12. August riefen sie zum „Kreuzzug 1991“. Bekehrt werden sollten Volksvertreter und Massenmedien im Vorfeld der Anhörung, als „flankierende Maßnahme für die geplante Anzeigen-Kampagne in Deutschland“.
„So etwas haben wir noch nicht erlebt“, erzählt Edith Niehuis (SPD). Glückliche Scientologen verströmten ihr Innerstes in einer Flut von Briefen und Telefonaten. „Alle wurden hier genervt“, berichtet die Vorsitzende des Ausschusses. „Die Scientologen schilderten, wie happy sie sind, und wollten unbedingt an der Anhörung teilnehmen. Manche verglichen sich mit verfolgten Christen.“
Rund 300.000 Menschen sollen der Organisation hierzulande angehören und einen Jahresumsatz von 150 Millionen erwirtschaften. Geködert werden sie mit einer sozialdarwinistischen Heilslehre, niedergelegt in der Dianetik-Bibel des Science-fiction-Autors und selbsternannten Messias L. Ron Hubbard. Beständiges Glück und Erfolg warten auf den Kandidaten — wenn seine Seele erst einmal entrümpelt ist. Die Müllabfuhr für den Seelenschutt ist natürlich nicht gratis. Auf dem Pfad der Erlösung kann man bis zu einer halben Million loswerden. Geboten werden dafür obskure Kommunikationskurse, sogenannte Auditings, bei denen das Gehirn kräftig gewaschen wird, exzessive Saunagänge und fragwürdige Vitamincocktails. Schon seit Jahren werfen Kritiker Scientology vor, daß sie keine Kirche seien, sondern ein Wirtschaftskonzern.
Von Geld war in den Briefen an die Bonner Abgeordneten natürlich nicht die Rede. Dafür um so mehr von befreiten Seelen. Und die äußerten sich alle ähnlich. Kein Wunder. In dem internen Strategiepapier — gerichtet an „Operierende Thetane“ und „Clears“, die höheren Einweihungsstufen des Glückskonzerns — wird detailliert aufgelistet, was die Kreuzritter zu tun hatten:
—„Schreibe einen Brief an Deinen Ansprechpartner in Bonn, schildere Deine persönliche Geschichte in Scientology und Deine spirituellen Gewinne
—Lasse diesen Brief von Sabine [gemeint ist Sabine Titzel, Hamburger Scientology-Sprecherin, d. Red.] o.k.en und schicke ihn raus
—Lasse 2 Tage verstreichen, nachdem der Brief verschickt wurde
—Drille einen Anruf in Bonn... bis du Dich gut darüber fühlst
—Rufe in dem Büro der Bundestagsabgeordneten Deines Bereichs an...
Um „negative Presse zu handhaben“ empfehlen die Ober-Scientologen „Leserbriefe und Reaktionen von Scientologen darauf“. Das klingt noch verhältnismäßig harmlos, wenn man weiß, was Hubbard bei Angriffen gegen Scientology geraten hat: „Füttere die Presse mit tatsächlichen Beweisen gegen die Angreifer, also mit ihren dunklen, blutigen sexuellen und verbrecherischen Machenschaften.“ Jeder Erfolg im Kreuzzug 1991 soll der leistungsgläubigen Seele des Scientologen natürlich auch etwas bringen. Das „9.Oktober-Projekt“ wird als Spiel ausgegeben, bei dem man Punkte sammeln kann.
Mit ihrer Aktion haben sich die Psychojünger — die von ihren Gegnern als „raw meat“, rohes Fleisch, sprechen — allerdings in das eigene geschnitten. Ursprünglich wollte sich der Bundestagsausschuß in seiner nichtöffentlichen Sitzung ganz allgemein mit „Jugendsekten in den Neuen Bundesländern“ befassen. „Scientology wäre vielleicht gar nicht zur Sprache gekommen“, meint Niehuis. Nach dem Sturm der Sekte auf Bonn fragen sich dort allerdings alle, „warum die so hektisch reagieren. Ich kann das nur als schlechtes Gewissen interpretieren.“
Aber es ist mehr. Die Anhörung und ein von verschiedenen Initiativen geforderter parlamentarischer Untersuchungsauschuß könnten die Zukunftsstrategie der Sekte empfindlich stören. Sofort nach der Wende gingen die Sektenjünger mit ihrem grellgelben Dianetik-Bus, dem typischen Dauerlächeln auf den Lippen und den vollmundigen Glückversprechen ihres Gründervaters Hubbard im Koffer auf Ostseelenfang. 60.000 ihrer Bibeln sollen sie bereits bis zu den ersten Dezembertagen 1990 verkauft haben. „Es sind 25 Buchverkäufe nötig, um einen Scientologen hervorzubringen“, lautet ein Verkaufsspruch der Sekte. „Und im Osten geht es vielleicht noch schneller“, meint Thomas Gandow, Sektenbeauftragte für Berlin- Brandenburg. „Hier braucht man den Leuten noch nicht einmal eine Ideologie zu verpassen, damit sie sich für ein paar Pfennig auf die Straße stellen.“
In Magdeburg, Schwerin, Leipzig, Halle und Dresden hat Scientology bereits seine Zentren etabliert. Billige Arbeitskräfte, denen der Konzern verspricht, sie im Schnelldurchgang zum Westler zu sozialisieren, gibt es zuhauf.
Und damit kommt die Sekte einem ihrer Hauptziele immer näher. Noch ist sie als Verein organisiert. (In Hamburg läuft allerdings gerade ein Verfahren, um ihr die Rechtsfähigkeit zu entziehen.) Aber was Scientology anstrebt ist, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zu werden — mit allen Vorteilen, die dieser Status bietet: unter anderem steuerliche Vorteile und Einfluß in den öffentlich-rechtlichen Anstalten. „Die Scientology-Kirche strebt nach diesem Status“, schreibt deren Präsident Helmuth Bloehbaum in einem internen Briefing im Mai letzten Jahres. Um dahin zu kommen, brauchen sie 10.000 „lifetime members“, auf Lebenszeit eingefangene Seelen.
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