: Löcher im Felsen
■ Werner Herzogs „Scream of Stone“
Nein, der Film heißt nicht „Schrei aus Stein“. Schließlich handelt es sich um eine internationale Koproduktion. Der Bergfilm — Regisseur Herzog beruft sich explizit auf die Tradition des Genres — ist auch kein Film von Werner Herzog, sondern ein Werner-Herzog-Film. Klingt halt besser. „A very physical project“, reklamiert der Filmemacher außerdem. Aber nicht einmal das stimmt.
Roccia (Vittorio Mezzogiorno) ist ein Bergsteiger von der guten alten Schule, einer, der alle Achttausender bezwungen hat. Den Cerro Torre in Patagonien, einen von allen Seiten senkrechten Felsfinger, hält er für unbesiegbar. Martin (Stefan Glowacz) ist Weltmeister im Freeclimbing, ein modisches Sport-As. Den Cerro Torre könne er mit bloßen Fingern erklimmen, behauptet er. In einer Fernsehshow wetten die beiden um die Gipfelbesteigung. Eine Macho-Wette.
Werner Herzog hat versucht, einen abendfüllenden Spielfilm daraus zu machen und eine Handlung drumrum gebastelt. Die krankt schon allein daran, daß der Schauspieler Mezzogiorno nicht bergsteigen und der Freeclimber Stefan Glowacz nicht schauspielern kann. Hinzu kommen ein Eifersuchtsdrama (um die Sekretärin Katharine alias Mathilda May), der immer adrette Donald Sutherland als Moderator des Showdowns im Sturm, ein fetter amerikanischer Filmproduzent, hektische Kamerateams, ein verrückter Naturfreak, eine einheimische Indianerin und viel, viel Natur. Blauer Himmel, nackter Felsen, Wolkengebirge und Schneegestöber. Der Rest ist echtes Bergsteigen. Aber das sind höchstens zehn Minuten.
Werner Herzog gibt vor, ein moralisches Problem zu verhandeln: die Zerstörung der Natur durch Sport. Man sieht, wie die Hubschrauber mit der Filmcrew des amerikansichen Produzenten in die Ruhe des Tals eindringen. Man sieht, wie das Kamerateam, das das Gipfelduell am Felsen der Sensationsgier zuliebe filmen soll, dem Felsen mit dröhnenden Bohrmaschinen zu Leibe rückt. Herzogs Team hat mit Sicherheit genausoviel Unruhe ins Tal gebracht und noch mehr Löcher in den Felsen gebohrt. Aber das sieht man nicht.
Scream of Stone ist ähnlich verlogen wie Fitzcarraldo und Herzogs Australien-Film Wo die grünen Ameisen träumen: Den eigenen Anteil an Sensationsgier, Naturzerstörung und Kolonialismus reflektiert der Film nicht einen Moment. Dann lieber Luis Trenker. chp
Werner Herzog: Scream of Stone, mit Vittorio Mezzogiorno, Stefan Glowacz, Donald Sutherland, BRD/Frankreich/Kanada 1991, 97 Min.
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