: Nicht so streng wie Sander
■ Stefan Moses' „Ostdeutsche Portraits“ in Berlin
Stefan Moses hat den Deutschen einen großen Dienst erwiesen: Während sie, seit den glücklichen Tagen unverhoffter Vereinigung, unaufhaltsam auseinanderstreben, bieten Moses' Porträts die vielleicht letzte Chance eines einheitlichen Blicks. Vor der Kamera die ehemaligen Ostdeutschen und hinter der Kamera der Ex-'Stern‘-Fotograf Stefan Moses.
Er hat ein großes Tuch dabei, das er auf Straßen, in Gärten und Betrieben entfaltet, um einmal alles, was „das Milieu“ preisgeben würde, zu bedecken und ein anderes Mal Details sichtbar werden zu lassen, Kaninchenställe, Mobiliar oder die Fassade des Bauhauses in Dessau. Das Tuch bildet den neutralisierten Raum, in den die Figuren eintreten, einzelne, Paare, kleine Gruppen.
Keine Frage, die Leute, die Moses (buchstäblich) heimsucht, nehmen bewußt und bisweilen lustvoll teil an einem Projekt, das sie einreiht in eine fotografische Soziologie: So sehen die Ostdeutschen aus, und wenn diese Frage in fünfzig Jahren noch jemanden interessieren würde, könnte Stefan Moses — weil er die Antwort bereithält — aufrücken zu den großen deutschen Fotografen. Jetzt zählt er zu denen, die man im englischen Sprachraum „accomplished“ nennt; einer, der zu Recht einen Namen hat.
Das sind sie also, die uniformierten und fröhlichen Musiker des städtischen Spielmannszuges Cottbus, gestylte und fröhliche Übersiedler, Notaufnahmelager Gießen; oder in voller Montur, inklusive Plastikhandschuh bis zur Achsel, der Besamungstechniker, Priemen. Alle in Schwarzweiß, das Licht fängt sich in den Gesichtern, Stoffen, Accessoires. So stehen sie für ihre Existenz, die durch Moses' Methode zu einer kollektiven wird. Selbst zwei fröhliche Herren in perlig schimmernden Anzügen, die wir mühelos als Hans Modrow und Gregor Gysi identifizieren, firmieren hier als Ehemaliger Ministerpräsident und Parteivorsitzender, Berlin.
Zweier fotografischer Vorgehensweisen hat sich Moses bedient: Wie August Sander läßt er die Leute mit einer solchen Strenge posieren, daß der soziale Status der Abgebildeten unwillkürlich ins Zentrum des Interesses gerät. Der Einsatz des Tuchs andererseits erinnert an das mobile Zeltstudio des Amerikaners Irving Penn, der die Indianer Mittelamerikas und Rocker in gleicher Weise zu Ethno-Stilleben verwandelt hat. Es hatte eine ähnliche Serie von Moses über Westdeutsche gegeben; das Projekt ostdeutscher Porträts begann mit Übersiedlern. Später kamen, nach der Öffnung der Grenzen, die Daheimgebliebenen dazu.
Aber dann ist Stefan Moses eben nicht so pittoresk wie Penn und nicht wirklich so streng wie Sander. Seine Fotografien verallgemeinern die Menschen zu Daten; und bleiben doch freundlich. Da sie schon keine Namen haben, läßt man sie allerdings sprechen: „Mir ist alles egal, ich sage nichts“, zum Beispiel, äußert ein Facharbeiter für Broileraufzucht aus Weimar. Die Frage bleibt, welche Frage das Deutsche Historische Museum (nicht der Fotograf) diesen Menschen gestellt hat.
Die Texte sind mit schwarzen Lettern auf die Wände gebracht, die Fotografien sind unter grauem Büttenpapier mit Sorgfalt gerahmt. Licht und Trennwände sind aufwendig installiert, und einige Motive sind — stark gerastert — auf Wandhöhe gezogen worden; ein vorzügliches Ausstellungsdesign.
Abschied und Anfang ist eine versöhnliche Ausstellung, deshalb ist sie beliebt; Stefan Moses' Porträts sind gewiß Produkt hartnäckiger Arbeit. Dennoch, eine Offenbarung sind diese Bilder nicht, jedenfalls nicht jetzt. Man kennt sie, die Hoffnungsvollen, die Verbitterten, die Unberührbaren und die Naiven. Wie so oft, bei bestimmten Arten von Fotografie, sieht man nur das, was man ohnehin schon weiß. Ulf Erdmann Ziegler
Stefan Moses, Abschied und Anfang. Ostdeutsche Porträts 1989-1990. Deutsches Historisches Museum im Zeughaus, Unter den Linden 2, Berlin. Bis zum 26.November 1991. Katalog bei der Edition Cantz.
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