: Verwenden statt Wiederverwerten
Auf dem Berliner Kongreß für ökologische Abfallwirtschaft gerät das Recycling ins Zwielicht ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) — „Ein cleverer Mensch löst ein Problem, ein kluger vermeidet es.“ Diese Lebensweisheit Albert Einsteins hätte als Motto für den Berliner Kongreß für ökologische Abfallwirtschaft dienen können, der gestern zu Ende ging. Ins Gedächtnis gerufen hatte das Aper¿u der Kieler Toxikologe Otmar Wassermann. Wassermann sah in der fortschreitenden Umweltzerstörung durch immer neue Stoffe ein „Zeichen von Geistesstörung“. Es sei kaum zu verstehen, daß dem Benzin seit Jahrzehnten Blei zugesetzt werde, „weil es gesund für den Motor ist“, unabhängig von den gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen.
Irmgard Schultz, Sozialwissenschaftlerin aus Frankfurt, entdeckte auf der gleichen Veranstaltung die cleveren Menschen vor allem unter den Männern. Die hätten das Müllproblem für sich mit dem neu eingerichteten Dualen System Deutschland (DSD) und der Verpackungsverordnung quasi genial gelöst. Der harte Verwertungsbereich der recycelten Rohstoffe, in dem man Geld verdienen könne, geht in diesem System an die Industrie. Das Ablösen von Aludeckeln und Ausspülen von Marmeladengläsern für die sortenreine Verwertung sollten zuvor die Frauen in unbezahlter Heimarbeit erledigen. Dieser „Milchbubirechnung“ der Industrie gelte es sich in jedem Fall zu verweigern, so Schultz. Vor allem aber müsse vor der Vermarktung neuer Stoffe und der Einführung neuer Produkte eine gesamtökologische Bewertung stehen.
Michaela Moser vom veranstaltenden Institut für ökologisches Recycling (IföR) hatte zur Eröffnung des Kongresses schon deutlich gemacht, wohin die Verpackungsreise gehen könnte. Das IföR stellte auf der Tagung ein Mehrweg-Verpackungssystem auch für teure Konsumgüter vor. Das „Air pack“, eine Art Luftmatratze zum Einschluß transportfertiger Fernseher oder HiFi- Geräte, soll mehrfach wiederverwendbar sein und die heute übliche Styropor-Verpackungen ersetzen.
Nach so viel Analysen und praktischen Vorschlägen klagten die Wissenschaftlerinnen eine politische Umsetzung einer ökologischen Müllpolitik ein. Die Rolle des politischen Buhmanns mußte am Eröffnungsabend der Berliner Umweltstaatssekretär und Umweltwissenschaftler Lutz Wicke (CDU) übernehmen. Wicke lobte vor den 600 KongreßbesucherInnen zunächst Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) für die letzte Novelle des Abfallgesetzes. Gleichzeitig gestand der Staatssekretär, er hätte sich eine bessere Verpackungsverordnung vorstellen können. „Es gibt immer erheblichen Einfluß von der Wirtschaft, aber auch von den Umweltverbänden“, suchte der CDU-Mann den schalen Kompromiß zu erklären. Die Verpackungsverordnung, die für die nächsten Jahre Recyclingquoten vorschreibt, sei bestenfalls ein erster Schritt. Allerdings seien die Vorgaben für die Wiederverwendung des Verpackungsmaterials schließlich doch so streng ausgefallen, daß es der Abfallindustrie schwerfallen werde, die Recycling- Anforderungen mit dem derzeitig „viertklassigen Management“ des Dualen Systems zu erfüllen. Und für den Berliner Giftmüll werde der Senat notfalls allein ein Abfallabgabengesetz auf den Weg bringen. Vorbild sei Baden-Württemberg, das für sein kürzlich verabschiedetes Gesetz einen Entwurf der Grünen aus dem Jahr 1987 zugrunde gelegt hat.
Da zeigt sich, wie sehr die Angst vor der Wirtschaft noch die Politik behindert. Die Wirtschaft weiß: Was wiederverwertet wird, kann wiederverkauft werden. Was wiederverwendet wird, muß nicht mehr gekauft werden. Oder, wie es Uta Philipp von bayerischen Verband „Das bessere Müllkonzept“ formulierte: „Wir sind in der Situation, daß wir eine volle Badewanne haben. Alle arbeiten am Ablaufventil, und keiner denkt daran, den Hahn zuzudrehen.“
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