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»Wie Vieh in die Wannen der Polizei«

■ Rund 50 Demonstranten blockierten Abschiebung von Asylbewerbern/Zwei Festnahmen/ 200 Widersprüche gegen Umlegung in die fünf neuen Länder

Kreuzberg. Am Waterloo-Ufer blockierten gestern 50 überwiegend junge Demonstranten ab sieben Uhr die Abfahrt der wöchentlichen Transporte von Asylbewerbern aus Berlin in die östlichen Bundesländer. Dabei kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Zwei Demonstranten wurden nach Angaben von Augenzeugen vorübergehend festgenommen.

Jeden Donnerstag früh verlassen am Kreuzberger Waterloo-Ufer Sammeltransporte mit Asylbewerbern Berlin in Richtung Zentrale Asylbewerberheime unter anderem nach Eisenhüttenstadt und Chemnitz. Seit drei Wochen ist auch die Kontakt- und Beratungsstelle für außereuropäische Flüchtlinge (KUB) dort präsent und informiert die Asylbewerber über ihr Recht, die Mitfahrt zu verweigern und Widerspruch beim Verwaltungsgericht einzulegen. Üblicherweise führt dieser Widerspruch zu einem Aufschub der Verschiebung um ein bis zwei Wochen.

In der vergangenen Woche machten 43 von 50 Asylbewerbern von dem Angebot Gebrauch. Wie Renate Wilson von der KUB mitteilte, sollten gestern überwiegend Leute verschickt werden, die bereits Widerspruch eingelegt hatten. »Das Verwaltungsgericht holt in vielen Fällen nicht mal mehr die Zusicherung der Ausländerbehörde ein, die Flüchtlinge bis zum Ende des Verfahrens in Berlin zu lassen«, so Wilson. Statt dessen seien die Asylbewerber »wie Vieh in die Wannen der Polizei« gescheucht worden, teils unter Tränen und gegen ihren massiven Widerstand.

Nach Informationen eines Demonstranten waren bei der gestrigen Aktion statt der üblichen Busse fünf bis sechs Wannen mit Polizisten vor der Ausländerbehörde vorgefahren, um die Asylbewerber zunächst in die Gefangenensammelstelle Friesenwache und von dort weiter in die fünf neuen Länder zu bringen. Einer berichtete, die Polizei habe die Asylbewerber »echt massiv in die Wannen reingeprügelt«.

Die Auseinandersetzung dauerte mehrere Stunden: Gegen 13 Uhr wurden immer noch Asylbewerber am Waterloo-Ufer festgehalten, die Haustüren der Ausländerbehörde waren verschlossen, keiner konnte rein oder raus. Unter den Festgehaltenen befände sich unter anderem eine schwangere Sowjetbürgerin aus Tschernobyl, die aller Wahrscheinlichkeit nach strahlenkrank sei und in Berlin behandelt werden müßte, berichtete Wilson, die die Verschiebepraktiken »völlig unglaublich« findet. Vorgestern sei eine Familie mit drei Kindern »quer über die ganze Bundesrepublik verteilt worden.«

Über 200 Widersprüche gegen die Verschiebung würden der KUB inzwischen vorliegen, berichtete Wilson. Obwohl sie die Asylbewerber informieren würden, daß dies womöglich nur einen Aufschub von wenigen Tagen bedeuten würde, ließen nur wenige diese Möglichkeit ungenutzt. »Die Angst ist inzwischen so groß, daß zwei Leute schon ihren Asylantrag zurückgezogen haben, um nicht verschoben zu werden.« Eine Stellungnahme der Innenverwaltung zu den Vorfällen war gestern nicht zu bekommen. Jeannette Goddar

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