: EG besorgt über Achse Paris—Bonn
■ Dumas und Genscher wollen heute in Paris eine Diskussionsvorlage für die Politische Union erarbeiten/ Die Niederlande fühlen sich übergangen/ Belgien spricht von Apartheid
Berlin (taz) — Ein „Routinetreffen“ beim Dinner in Paris hat die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft schon im Vorfeld in helle Aufregung versetzt: Der Alleingang seines französischen und deutschen Amtskollegen sei „eine Art von Apartheid“, rügte der belgische Außenminister Mark Eyskens. Eine Rückbesinnung auf den „nationalen Kurs“ diagnostizierte der niederländische Premierminister Lubbers. Der dänische Außenminister Ellemann-Jensen stellte fest, die beiden großen Mächte im Zentrum Europas wollten die (niederländische) „EG-Präsidentschaft sabotieren“. Exakt acht Wochen vor dem Gipfel in Maastricht, bei dem die zwölf Regierungschefs sich auf Verträge für eine Politische Union und für die Wirtschafts- und Währungsunion einigen wollen, ist damit in der Gemeinschaft ein offener Streit über die Route ausgebrochen.
Angesichts der Vorwürfe ist das Bonner Außenministerium bemüht, das für heute angesetzte Treffen zwischen Dumas und Genscher möglichst tief zu hängen. „Das ist kein Alleingang, wir machen kein Fraktionstreffen und wir bilden schon gar keine Achse“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gegenüber der taz. Das Treffen sei gegen niemanden gerichtet. Es handele sich lediglich um eine Konsultation im Rahmen der üblichen deutsch-französischen Zusammenarbeit, die sich schlielich als „Motor der Gemeinschaft“ bewährt habe. Ziel sei es, die Diskussion in der Gemeinschaft „voranzubrigen und zu beflügeln“. Denn wie alle anderen, seien auch Frankreich und die Bundesrepublik daran interessiert, bis zu dem Gipfel in Maastricht Anfang Dezember die beiden Projekte zur Entscheidungsreife zu bringen.
Zu diesem Zweck soll die deutsch-französische Initiative zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik vom Februar dieses Jahres noch einmal aufgefrischt werden. Darin wurde die Nato als „unverzichtbar“ für die europäische Sicherheit bezeichnet und zugleich der Aufbau eines „europäischen Pfeilers“ des atlantischen Bündnisses gefordert. Dieser „Pfeiler“ — die bereits existierende Westeuropäische Union (WEU) — soll nach der deutsch-französischen Initiative „organisch“ in die Politische Union der EG integriert werden.
Darüber hinaus wollen die beiden Minister ihre „Meinungsunterschiede“ besprechen, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Konkret verbergen sich hinter der vorsichtigen Formulierung unterschiedliche Auffassungen über die Rolle des Europaparlamentes in der EG der Zukunft. Bonn will die Straßburger Parlamentarier mit mehr Kompetenzen ausstatten, wohingegen Paris den praktisch machtlosen Zustand des Europaparlamentes erhalten will.
Die Befürchtungen, zumal der kleineren EG-Mitgliedsländer, wegen des Treffens bezeichnet das Auswärtige Amt gestern als unverständlich. Allerdings hatten Bonn und Paris da schon den Rückwärtsgang eingelegt. Am vergangenen Wochenende hatten sie noch sämtliche „gleichgesonnenen“ EG-Mitgliedsländer zu dem Gespräch nach Paris geladen. Ein Affront gegen die Niederlande, der EG-intern auch so bewertet wurde. Daraufhin beschränkten sich Franzosen und Deutsche auf die bilaterale Schiene. Nur Spaniens Außenminister Ordonez, ein Bündnispartner von Deutschen und Franzosen, wird möglicherweise zu dem Treffen stoßen. Er weilt „zufällig“ gleichzeitig in Paris, sagte das Auswärtige Amt dazu gestern.
Daß auch die deutsch-französische Freundschaft Grenzen hat, zeigte sich am Mittwoch abend bei einer Abstimmung im Europaparlament deutlich. Dort votierte eine Mehrheit dafür, dem nunmehr bevölkerungsstärksten EG-Mitgliedsland 18 zusätzliche Sitze für ostdeutsche Parlamentarier zu geben. Damit würde die deutsche Delegation größer als die bislang gleichstarken Gruppen aus Italien, Großbritannien und Frankreich werden. Wie zu erwarten, stimmten zahlreiche französische Parlamentarier gegen den Vorschlag. Das letzte Wort auch in dieser strittigen Frage hat jetzt der Ministerrat. Der müßte — wie bei derartigen Einschmitten in die Römischen Verträge üblich — der Änderung einstimmig zustimmen, bevor sie in Kraft treten kann. dora
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