: Georgiens Kampf mit dem imaginären Feind
Wahn, Fanatismus und Analphabetentum stützen den Duce Georgiens/ Von der Faszination der Waffen/ Wie Gamsachurdia die Feinde mit Liebe schlagen will/ Der „heilige Trunk“ widersteht dem Alkoholverbot/ Hat sich der Präsident mit Wende- kommunisten arrangiert? ■ AUS TBILISSI KLAUS-HELGE DONATH
Schigdidi mit seinen 130.000 Einwohnern unterstützt den gewählten Präsidenten Georgiens, Swiad Gamsachurdia!“ — Das Transparent lehnt an der Mauer des ehemaligen Instituts für Marxismus-Leninismus, links neben dem Eingang. Verloren steht sie da, die einzige Botschaft in einer anderen Sprache als Georgisch, dessen eigenwillige Schriftzeichen jedem Wißbegierigen schon den Einstieg zu einem Mysterium machen. Rechts daneben versperren Uniformierte dem Neugierigen den Zugang. Sie alle stammen aus der Provinz. Ihre Gesichter sind müde und unrasiert. Seit Tagen kampieren sie hier rund um die Uhr, um zu verteidigen, was keiner angreifen wird. Nach den Hütern der reinen Parteilehre hatten verschiedene Oppositionsgruppen zwischenzeitlich in dem schlichten Bau Stalinschen Neoklassizismus' Quartier bezogen. Dann stürmten Nationalgardisten des Präsidenten das Gebäude und mischten die Opposition auf. Verstreut sitzt sie jetzt an verschiedenen Punkten der Stadt, so wie es ihrem politischen Wesen entspricht und hat sich wehrhaft gemacht. Der Tempelbezirk Tbilissis, der Rustaweli-Boulevard, aber ist von Häretikern gesäubert.
Massenhypnose als Politik
Tritt man näher an das Transparent heran, kann man noch erkennen, daß der „erwählte“ Präsident erst nachträglich zum „gewählten“ umgeändert worden ist. Ein feinsinniger Geist hatte noch rechtzeitig den entscheidenden Buchstaben überklebt. Doch den meisten Anhängern ist dieser Unterschied einerlei. Eine eigentümliche Massenhypnose hat Georgien erfaßt. Es huldigt seinem Präsidenten, nicht seiner Politik. Denn die findet nicht statt. Gamsachurdia reicht sein düster starres Charisma, um die Menschen in Trance zu versetzen. „Der Kaschpirowski-Effekt hat Georgien ergriffen“, schmunzelt ein Oppositioneller im besetzten Fernsehzentrum, obwohl ihm überhaupt nicht zum Lachen zumute ist. Der russische Wunderheiler Kaschpirowski hatte über den Bildschirm wöchentlich vor ihrem Ende noch einmal die ganze Union gemeinsam in andere Umstände versetzt. Vor dem Parlament rufen indes Frauen den Präsidenten bei seinem verzärtelten Vornamen: „Swiadi, Swiadi“! Eine von ihnen will ihrem Präsidenten sogar ihr Leben und ihren Sohn opfern, wenn es nötig wäre. Mysterienspiele.
Mit Liebe werden wir sie besiegen
Die Menschen, die sich zur Verteidigung des Regierungssitzes eingefunden haben, sind einfach. Bauern vom Lande und aus den Bergen. Schon in ihrem Aufzug unterscheiden sie sich von den eleganteren Städtern. Die Nächte verbringen sie in den Bussen und Taxen, die sie in die Hauptstadt gekarrt haben. In endlosen Reihen säumen sie den Rustaweli. Gamsachurdia hatte den frischeingesetzten Präfekten, die seinen Willen in den Provinzen exekutieren, befohlen sie heranzuschaffen. Um sicherzugehen, verband er das mit einem Versprechen auf dreißig Kilogramm Zucker Sold. Denn Zucker ist knapp in Georgien und in dem sonnenverwöhnten Kaukasusstreifen beginnt die Einmachzeit. — Der Dialog zwischen Opposition und Regierung findet nurmehr in Scharmützeln statt. Letzte Woche machte der georgische Alleinherrscher dennoch einen Schritt nach vorn. So sah es jedenfalls aus. Sein Fußvolk glaubte es ihm. „Wir werden sie besiegen, aber sie werden nicht besiegt, mit uns zusammen werden sie siegen. Ja, mit Liebe werden wir sie besiegen“, orakelte Gamsachurdia, Literaturwissenschaftler und Sohn des berühmtesten georgischen Schriftstellers dieses Jahrhunderts. Seine Weissagung verband er mit einer praktischen Forderung. Bis zum Donnerstag sollten die militärischen Einheiten der Opposition ihre Waffen an einem Sammelpunkt im Stadion abliefern. Per Dekret sicherte er ihnen Straffreiheit zu. Doch keiner folgte dieser Aufforderung. Denn auf der anderen Seite traut ihm keiner. Teile der Opposition verzogen sich dennoch aus der Stadt. Am Abend setzten Gefechte ein. Verluste waren zu vermelden. Dennoch glaubt das Volk, Gamsachurdia sei an einer friedlichen Lösung gelegen. Auch die beiden Dozenten der Universität Tbilissis, der eine Philosoph, der andere Philologe, zweifeln nicht an der Aufrichtigkeit des Fürsten.“ Er hat eine Menge Fehler in der Personalpolitik gemacht. Aber er ist unser gewählter Präsident. Keine andere Kraft kann Georgien wieder aufrichten“, meinen sie am Rande einer Demonstration.
Symbolisches Kräftemessen
Gamsachurdia hatte angeordnet, die Leichname dreier erschossener Milizionäre in einem Trauerzug zum Hauptquartier der Opposition, dem besetzten Fernsehzentrum, zu bringen. Die Demonstranten bleiben in Sichtweite stehen, während auf dem Hügel vor dem Zentrum die Verteidiger in Stellung gehen. Vormittags hatten Lkws Sand abgeladen. Noch sind die Säcke nicht voll. Rechts vom Demonstrationszug, auf einer Anhöhe am „Platz der Helden“ unterhalb des Zirkus, sitzen die Freischärler des Tengis Kitowani, geschützt durch einen Zypressenhain. Der Offizier und Kunsthistoriker hatte mit dreitausend Mann Anfang September die Nationalgarde Gamsachurdias aus Protest gegen dessen Befehl zur Gewaltanwendung verlassen. Symbolisches Kräftemessen und psychologische Kriegsführung gehören zum Alltag Tbilissis. Nachts wird daraus bitterer Ernst.
Die Haltung der beiden Dozenten unterscheidet sich nur geringfügig. Lediglich, was die Bewertung Schewardnadses angeht, weichen sie voneinander ab. Der Philosoph sieht in ihm einen Verräter Georgiens. Basta. Der Philologe gesteht ihm seine Bedeutung in der Weltpolitik immerhin noch zu. Doch das spielt dort keine Rolle mehr, wo die Welt auf die Massive zwischen dem Nord- und Südkaukasus zusammenschrumpft. Man ist von Feinden umgeben. Einen Schritt über die Berge wagte Gamsachurdia dennoch. Mit der ultrakonservativen Führung Tartarstans schloß er ein Abkommen, das Rußland treffen soll. Aus der autonomen Republik der Tschetschenen und Inguschen am Ostrand des Kaukasus orderte eine spezielle „Eingreiftruppe“. Noch mehr als die Georgier lieben sie Waffen. Sie gelten als besonders zuverlässig — und brutal. In der Hotelhalle des „Iveria“ muß man ständig die mißtrauischen Blicke der breitschultrigen, waffenstarrenden Wächter passieren.
Die Bar ist geschlossen. Über die ganze Hauptstadt wurde ein Alkoholverbot verhängt. Restaurants schenken keinen Wein aus, aus den Geschäften ist er verschwunden. Der Wein, der heilige Trunk, ohne den in Georgien nichts läuft. Sonst ein Anlaß zu Rebellion, fügt man sich jetzt. Aber die Wächter torkeln trotzdem. Und der Kommandant der loyalen Nationalgarde in Schawnabad, draußen vor den Toren der Stadt, kann sich kaum noch artikulieren. Es ist ja auch schon spät, gegen acht Uhr abends. Vor einigen Tagen hatten sie das ehemalige Erholungszentrum aus den Händen der Opposition erobert. Aber Waffen, schüttelt er den Kopf, hätten sie keine. Wie das? Er öffnet die Tür zu seinem Büro: „Schauen Sie nach.“ In der Tat, eine Philosophierstube! Nur die Opposition sei bewaffnet. Keine Waffen, aber es fallen Leute, Kein Wein, aber man ist betrunken. Ein wahres Mysterium. Er schätze beide, Gamsachurdia und Ketowani, sie seien beide Georgier, meint er nach Harmonie schnappend. Sein Stellvertreter pflicht noch bei, er würde nie gegen die Opposition vorgehen. „Wie denn? Meine Verwandten stehen auf der anderen Seite.“ Und sie sterben trotzdem. Auf der Rückfahrt durch das stockdunkle Terrain steigt der „Begleitschutz“ am vorgeschobenen Sicherheitsposten aus. Am Stadtrand Tbilissis kontrolliert eine Einheit den Wagen.
„Ganz normale Intellektuelle“
Am Rande der Demonstration mischt sich ein jüngerer Mann unter die aufgebracht Palavernden. Durch Kleidung und Habitus hebt er sich ab. Plötzlich bekundet er sein Mißfallen und geht. Auch er verteidigt die Regierungspolitik „trotz aller Fehler“. Er argumentiert sachlich, weiß sich auszudrücken. Er paßt nicht in das Bild der fanatischen Verhimmler. Vielleicht ist er ein ehemaliger KPler, der sich nun zu arrangieren sucht. Dazu äußert er sich selbstverständlich nicht. Doch es gehen Gerüchte, daß Gamsachurdia mit großen Teilen des alten Apparates seinen „Frieden“ geschlossen haben soll. Vor allem in den Sicherheitsorganen. Mutig wendet sich eine junge Frau an den Ausländer: „Ganz normale Intellektuelle sind das, mehr sage ich nicht“, meint sie und springt davon. Die Menge übt sich in Intellektuellenhaß. Denn es ist die geistige Elite, die oben beim Fernsehen Zuflucht gesucht hat. Die beiden Dozenten sind Außenseiter an ihrer Universität. Freimütig räumen sie das ein. Turnike Berischwili, Vorsitzender einer kleinen Oppositionspartei, sitzt schon seit Tagen im Fernsehzentrum. Seiner Arbeit als Mathematikprofessor geht er zur Zeit nicht nach. Man könne jetzt nicht aufgeben, meint er. Präsident und Regierung müßten gezwungen werden, sich an die Verfassung zu halten. „Das ist das einzige, was die Opposition momentan verbindet.“ Ihre Gemeinsamkeit bestünde in einer moralischen Forderung: Gesetzlichkeit und Existenzrecht für die Opposition. Die bewaffneten Oppositionellen, die durch die verwahrlosten Flure des Gebäudes streifen, hinterlassen keinen vertrauenswürdigeren Eindruck als ihr Widerpart. Auch sie lieben das Kriegsspiel, scheint es, und Berischwili nickt vorsichtig. Seitdem die Parlamentarier der „Mustawa Kustawa-Gesellschaft“ die Regierung des „Runden Tisches“ verlassen haben, gewinnt das Anliegen der Opposition mehr an Glaubwürdigkeit. Der ehemalige Vorsitzende des Sicherheitsausschusses des georgischen Parlaments Wascha Adamia hat sich mit siebzehn Parlamentarieren und „Freiwilligen“ auf seinem Anwesen gleich hinter dem Rustaweli-Denkmal verbarrikadiert. Unter den Kastanienbäumen seines Gartens erzählt er vom Beschwichtungsversuch des Präsidenten. Wenn er sich mit seiner Kritik zurückhalte, mache er ihn zum zweiten Mann der Republik. „Das rettet Georgien nicht“, will er geantwortet haben. Seitdem herrscht Krieg zwischen den beiden Familien, die sich seit Kindesbeinen kennen. Der Präsident sei krank. „Es ist der letzte Moment, um Georgien zu retten.“ Angst? Mordanschläge auf andere hätte es gegeben, doch „daran darf man jetzt nicht denken“, flüstert der Arzt übermüdet und richtet seinen grüngescheckten Kampfanzug. Er glaubt an den „Sieg der Wahrheit“, nur besitzt die zur Zeit noch das Volk.
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